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Politische Psychiatrie

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Politische Psychiatrie bezeichnet die vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Politik und Psychiatrie. Zu diesem Thema gehören auch Zwangsbehandlungen, die für politische Zwecke missbraucht werden. Die Kritik am Missbrauch psychiatrischer Institutionen im Sinne von Herrschaftsinteressen, vor allem aber die Berücksichtigung der Menschenrechte in der Psychiatrie ist umfassende Aufgabe eines neuen Selbstverständnisses aller Betroffenen innerhalb des psychiatrischen Versorgungssystems, von Patienten und Ärzten.[1] Insofern deckt sich die Kritik auch mit der Forderung nach Abschaffung politischer Justiz. Übereinstimmend mit dem Begriff der Politischen Psychologie liegt der Schwer- und Bezugspunkt einer politischen Psychiatrie beim Individuum. [2]

Theoretische Grundlagen

Die Kritik ging zunächst davon aus, dass sich der im Sinne der politischen Psychiatrie ausgeübte Einfluss weitestgehend auf die Rolle einzelner Kranker innerhalb der Gesellschaft konzentriert, ohne die oft allzu ausschließliche und allzu große Rücksichtnahme auf die Sichtweise ärztlicher Experten. Medizinsoziologische Untersuchungen haben gezeigt, dass für die Organisation psychiatrischer Einrichtungen häufig eigene Gesetzmäßigkeiten gelten, die mit Politik auf den ersten Blick wenig zu tun haben. Diese Gesetzmäßigkeiten ergeben sich aus der gängigen Alltagspraxis im Umgang mit der klinischen Klientel, den organisatorischen Verflechtungen und Grenzen, weniger aus richtungsweisenden fachlichen Erkenntnissen. Die Abschaffung organisatorischer Mängel erfolgt nicht immer nach sozialpsychiatrischen Gesichtspunkten. Die Forderungen der Psychiatrie-Enquête wurden zu wenig in die Praxis umgesetzt und eher von ökonomischen und pharmakologisch-technischen als von psychotherapeutischen Interessen geleitet.[3] Für den Personenkreis einzelner Kranker hat sich daher auch die eher neutrale Bezeichnung Betroffene oder Psychiatrie-Erfahrene eingebürgert und nicht die von Ärzten benutzte Bezeichnung Patient. Vielfach wird die Sichtweise der Medizinsoziologie übernommen, in der das ärztliche Handeln selbst zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird und dadurch „eine Reihe von Krankheitsgegebenheiten und therapeutischen Ergebnissen als iatrogene Produkte“ ausgewiesen werden.[4] Dieser Einflussbereich ist heute auch als Gegenstand der Sozialpsychiatrie anerkannt. Politische_Psychiatrie kann auch eine besondere Variante der Sozialmedizin sein. Die Kritik darf jedoch keinesfalls als „sozialistische Medizin“ missverstanden werden, sondern ist in neutraler Weise auf die Betrachtung der Wechselwirkungen Betroffener mit politischen Einflüssen und Instanzen beschränkt. Häufig erfolgt solcher Einfluss auf dem Umweg über psychiatrische Institutionen. Unter dieser Voraussetzung richten sich Forschungsfragen auf Untersuchungen, „wie Politisches sich den Individuen darstellt, zu welchem Verhalten es sie herausfordert und in welchen Ausformungen es ihren Bestrebungen entgegenkommt oder zumindest von ihnen akzeptiert wird“.[5]

Beispiele politischer Psychiatrie

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Methoden

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Abb. 1. Emanzipatorische Zielsetzungen der politischen Psychiatrie wurden durch Horst Eberhard Richter in seinem 1972 erschienenen Buch „Die Gruppe“ vertreten. In diesem Buch wird u. a. auch ausführlich auf das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg eingegangen. [7]

Es handelt sich im Falle der p. P. weniger um allgemeine psychologische Theorien und Mechanismen gesellschaftlicher Einflussnahme als vielmehr um eine Summe komplexer Einzelfälle von Kranken. Bei deren Einzelschicksalen stehen politische, institutionelle und gesellschaftliche Einwirkung und Bedingtheit in Frage. Solche Fälle lassen Rückschlüsse zu sowohl auf den oder die jeweils betroffenen Kranken und ihre politische Lernfähigkeit, als auch auf mögliche Reformbemühungen der Institution Psychiatrie wie auf die der Politik als einer organischen gesellschaftlichen Einheit. Eine einheitliche Methode besteht bei der Vielfältigkeit einzelner Problemfälle nicht. Die p. P. setzt daher eine reflexive Einstellung sowie eine Analyse politischer Faktoren voraus. Erich Wulff beschreibt, dass gewisse sozialpsychiatrische Reformbemühungen in vielen Einzelfällen schließlich zu einer politisch anerkannten Realität geführt haben.[8] Politische Auseinandersetzung aufgrund konkret vorliegender Analysen wäre somit das geeignete Mittel zur Realisierung sozialpsychiatrischer Vorstellungen. Sozialpsychiatrie gilt zwar als wissenschaftstheoretisch anerkannter Arbeitsstil, erfüllt aber in der Realität oft genug nur die Aufgabe einer Selbstdarstellung und Selbstbestätigung für gewisse Kliniken, die sich einem sozialkritischen bzw. „sozialreligiösen“ Modetrend folgend (Peters) als sozialpsychiatrische Einrichtung selbst darstellen. Häufig werden damit nur Reformen vorgeben, wo sie in der Tat niemals stattgefunden haben.

Eine kritische Beurteilung solcher Alternativen zwischen Anspruch und Möglichkeit bewirkt auch eine veränderte Sichtweise psychischer Erkrankungen in Abhängigkeit von der durch ein politisches System mitbestimmten Haltung, sei sie nun fürsorglicher oder nur mehr oder weniger abwehrender bzw. technisch-organisierender Art. Die gemeinhin als psychisch krank angesehenen Betroffenen empfinden sich z. T. mit irrationalen gesellschaftlichen Stigmata behaftet. Hierbei wird oft von Psychiatrie als „Herrschaft“ in instrumenteller Hinsicht gesprochen, einer p. P. kommt daher die Aufgabe zu einer Befreiung und Emanzipation von überflüssigem Zwang.[9] Sie besitzt aufklärerische Funktion. Eine veränderte Sichtweise psychischer Krankheit bezieht auch die Reaktion der Betroffenen als relevante politische Gruppierung mit ein, so z. B. in Form von politisch organisierten Betroffenenverbänden, Selbsthilfegruppen etc.[7]

Die optimale Lösung von Reformen, nämlich ohne Zwang auszukommen, scheitert vielfach daran, dass es den z. B. in einer rein institutionellen Arzt-Patient-Beziehung miteinander verzahnten Kontrahenten meist nicht bewusst ist, dass es sich um die Wiederholung von frühen familiären Verhaltensmustern handelt. Solche von Zwang geprägten Verhaltensmuster sind daher nicht nur im Falle der psychiatrischen Institution problematisch, es stellt sich auch die Frage, wie sie ggf. auch in der eigenen Familie vorgelebt wurden. Auf die Möglichkeit solcher Parallelität hat Stavros Mentzos hingewiesen. So gehen Lösungsstrategien häufig in einem Gewirr gegenseitiger Zwänge unter. Unbewusste Faktoren können dazu beitragen, dass unteroptimale Lösungsstrategien verfolgt werden wie die Reaktion mit Gegenzwang, die Reaktion mit zwanghaftem Ungehorsam oder die Abwehr durch Identifikation mit einer Führerfigur oder durch kollusives Arrangement.[10] [11] [12]

Geschichte

Da es sich bei der Psychiatrie um eine vergleichsweise junge Wissenschaft handelt und die geschichtlichen Gegensätze der die Psychiatrie berührenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stets wechselhaft gewesen sind, erscheint es angebracht, methodische Anleihen nicht nur bei der Psychologie, sondern auch bei der Philosophie zu machen. Im Fachgebiet der Psychologie ist das Stichwort Politische Psychologie ein seit 1860 von Adolf Bastian eingeführter Begriff und in der Literatur bis heute geläufig. Die Philosophie hat seit der Antike auch eine politische Zielrichtung vertreten, vgl. Platons Politeia. Es besteht eine lange fortgesetzte Tradition politischer Philosophien. Ähnlich wie bei der Philosophie ist es auch die methodische Fragestellung der Politischen Psychiatrie, von bestehenden politischen Systemen unabhängige Grundsätze menschengerechter Behandlung in der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Da die Beurteilung psychisch Kranker in der Öffentlichkeit dabei eine sehr entscheidende Rolle spielt, erscheint es wichtig, die Maßstäbe des Urteils zu schärfen, von denen die Einschätzung psychisch Kranker in der Öffentlichkeit getragen wird.[13]

Der Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland – so die offizielle Bezeichnung der Psychiatrie-Enquete – wurde im September 1975 fertiggestellt und hat einen Umfang von 430 DIN-A4-Seiten. Er wurde im Auftrag des Bundestages von einer Sachverständigenkommission aus rund 200 Mitarbeitern aller Bereiche der Psychiatrie erstellt.[14]

Kritik

Die Kritik an der Politischen Psychiatrie betrifft nicht nur allgemein die Aufgaben der

  • Sozialpsychiatrie, sondern speziell auch die der
  • vergleichenden Psychiatrie,
  • administrativen Psychiatrie, welche die Organisationstätigkeit leitender Psychiater an großen psychiatrischen Einrichtungen umfasst.[15] Solche verwaltungstechischen Aktivitäten werden gern auch als „technisch-administrative Tätigkeit“ bezeichnet, wobei von einer Eigenverantwortung der Betroffenen Kranken abgesehen wird. Im Hinblick auf diese Art von Tätigkeit hat Claude Lévi-Strauss den Begriff der heißen Kulturen geprägt, die auf dem Prinzip einer sozialen Hierarchie funktionieren und sich an Beispielen wie Sklaverei, Leibeigenschaft und Klassenunterschieden verdeutlichen lasen. Oft wird unter solch administrativer Aktivität aber auch die
  • kollektive psychologische Einflussnahme auf den einzelnen Kranken. Im Hinblick auf die Brennpunkte einer facettenreichen Psychiatrie bezieht sich das Selbstverständnis der p. P. oft auch – in kritischer Hinsicht – auf die nicht immer widerspruchsfreie, häufig missbräuchliche Arbeitsweise und Haltung des staatlichen psychiatrischen Gesundheitssystems, verantwortlicher politischer Organe und Organisationen von Berufsgruppen innerhalb dieses Gesundheitssystems wie z. B. Ärztekammern, Kassenärztlicher Vereinigung etc.[16] Entsprechend der Definition für p. P., in welcher der Wert des Einzelnen im Vordergrund steht, wird die Frage nach den Fortschritten der psychiatrischen Heilkunde für die betroffenen Kranken gestellt. Solche Fragen folgen dem Prinzip der
  • Wissenschaftssoziologie.[17]
  • Interaktion zwischen Psychiatrie und Politik[18]

Politisch motivierter Missbrauch der Psychiatrie und ihrer Einrichtungen wurde häufig von anthropologisch ausgerichteten Psychiatern oder internationalen Organisationen angeprangert.[19] Eine besondere Schwierigkeit stellt jedoch die Anwendung solch kritischer Haltungen und Maximen im eigenen Land dar. Diese Missbrauchsvorwürfe beziehen sich meist auf Einschränkungen unveräußerlicher Persönlichkeitsrechte und Rechte auf Gleichbehandlung. Ein solches Prinzip ist auch die Sicherstellung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit aller Menschen, wie es u. a. die Organisation Amnesty international vertritt. Es erscheint wichtig, dass solche Ziele global und nicht in rechtfertigender Absicht von einem ethnozentrischen oder kulturalistischen Standpunkt aus vertreten werden. Die Missbrauchsthematik grenzt Politische Psychologie und p. P. voneinander ab.

Insofern von den Prinzipien einer verstehenden Psychiatrie für die subjektiven lebensgeschichtlichen Voraussetzungen kranker Menschen ausgegangen wird, wird häufig auch von Antipsychiatrie gesprochen. Hiermit wird die Abkehr von der vorwiegend somatischen Ursachentheorie insbesondere bei der Schizophrenie betont. Damit wird eine neue Phase der Psychiatrie eingeleitet, die der Therapie gegenüber positiver aufgeschlossen war. Sie wendet sich daher auch von einem traditionellen „custodialen System der Psychiatrie“ ab, das in erster Linie auf die Belange der Sicherung der Allgemeinheit und der sozialen Kontrolle bedacht ist. Die Vermittlerrolle zwischen den Interessen der Gesellschaft und den begründeten Interessen betroffener Individuen wird bei diesem neuen psychiatrischen Ansatz deutlicher betont, ähnlich wie er bereits von Sigmund Freud bei bestimmten von ihm als Neurosen neu definierten Fällen therapeutisch angewandt wurde. Für einen herrschaftsfreien Ansatz in der Psychiatrie sprach sich auch der französische Psychiater Frantz Fanon (1925–1961) aus.[20]

Die sehr umfassende Kritik hatte weitreichende Folgen:

  • Übernahme von Selbstverantwortung z. B. innerhalb von Betroffenen- und Selbsthilfeverbänden gegen zunehmende Entmündigung durch wachsende Vermarktung von Psychopharmaka und wachsende Medikalisierung. In den USA werden diese Forderungen auch als Empowerment und Recovery bezeichnet.[21] [22] [23]
  • Organisierte Einflussnahme auf die Arbeitsplatzpolitik z. B. durch gewerkschaftliche Aktivität, die den Belangen psychisch Betroffener gerecht wird. Analyse des Zusammenhangs von Arbeitsplatzpolitik und Häufigkeit psychischer Krankheit z. B. durch Verschärfung der Auswahlkriterien; Rolle des Arbeitsplatzes im Hinblick auf den Erhalt seelischer Gesundheit und hoher gesellschaftlicher Kostenfaktor der Arbeitslosigkeit (wachsender Anteil von Kosten psychischer Störungen am Budget der Sozialversicherung, vgl. den nächsten Punkt)[8]
  • Veränderung der psychiatrischen Krankenversorgung mit Angeboten zur Schaffung gemeindenaher, d. h. wohnort- und arbeitsplatznaher Beratungsdienste oder teilstationärer Maßnahmen, wie Tages- und Nachkliniken, die durch Einsparung von Krankenhauseinweisungen hohe Kosten im Gesundheitswesen umgehen, Unterstützung von Selbsthilfegruppen[8]
  • Humanisierung und Demokratisierung existierender psychiatrischen Einrichtungen, vor allem psychiatrischer Großkrankenhäuser[8]
  • Sensibilität für die psychiatrische Rechtspflege, Errichtung offizieller Statistiken über Arzthaftungsprozesse, Aufdeckung diskriminierender fallbezogener Urteile in der Öffentlichkeit (psychiatrische Forensik) [9]
  • Herausforderung durch die länderspezifisch erheblich unterschiedlichen Zahlen der zwangsweisen Einweisungspraxis nach dem PsychKG und die sich daraus ergebende Forderung nach einheitlichen Maßstäben der Umgangs mit psychisch Kranken unabhängig von politischen, ethnischen und geographischen Besonderheiten

Formen der Einflussnahmen

Die vielfältigen politischen Verflechtungen und Überschneidungen der Politik mit der Psychiatrie und den von ihr betreuten Patienten können übersichtshalber anhand von Abb. 4 näher veranschaulicht werden. Es sind hier zwei verschiedene Regelkreise einander gegenübergestellt. Damit sollen einige Bestimmungsrichtungen verschiedener Einflüsse und deren Rückkopplungen aufgezeigt werden.[16] 1968 stellte die Ethnologin Kathleen Gough drei Instanzen heraus, die im Zusammenhang einer damals allgemeinen und immer revolutionärer werdenden Haltung und der im geschichtlichen Verlauf immer größer werdenden Bedeutung des Subjekts von Bedeutung sind. Dies sind (von unten nach oben in Abb. 4):

  • die untersuchten Betroffenen,
  • die Kollegen des Berufsstandes der Experten sowie die der Wissenschaft,
  • die Mächte, die den jeweiligen Experten bezahlen bzw. die Forschungen an der Universität in Auftrag geben.

Auch wenn dies im ethnologischen Zusammenhang gelten sollte für politische Fragestellungen der ethnologischen Feldforschung, so gilt dies gleichfalls für die Psychiatrie, da Ethnologie und Psychiatrie als Schwesterwissenschaften zu bezeichnen sind (Vergleichende Psychiatrie).[24]

Politische Psychiatrie
Wechselbeziehungen

Politik, Gesellschaft, kollektive Leitbilder
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Psychiatrie
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Heilkunde, individuelle Heilserwartungen
Abb. 4. Psychiatrie und gesellschaftliche Verflechtung

Die gesellschaftliche Verantwortung psychiatrischer Institutionen als Vermittler (Mediator) kann nicht ohne das Spannungsfeld zwischen den großen menschlichen Hoffnungen und deren gesellschaftlicher Realisierung beschrieben werden.[18] Dies ist bekanntlich Aufgabe der Wissenschaftssoziologie bzw. einer kritischen Psychiatrie (Schleife der aufsteigenden Pfeile in Abb. 4). Psychiatrie darf sich nicht mit der Rolle einer nur angewandten Wissenschaft begnügen (Schleife der absteigenden Pfeile).[25] Forderungen nach einer kritischen Psychiatrie werden nicht nur von ethnologisch, politisch oder weltanschaulich ausgerichteten Lagern erhoben. Da es bekannt ist, dass viele Psychiater in staatlichen Krankenhausinstitutionen arbeiten und darüber hinaus das staatlich regulierte Gesundheitssystem auch über die gesetzliche Krankenversicherung und die Einrichtung von Krankenhausambulanzen den Stil der ambulanten psychiatrischen Konsultationen mitbestimmt, ist es nur als konsequent anzusehen, dass Phänomene, die z. B. als „institutionelle Abwehr“ beschrieben werden, zunehmender berufsspezifischer Beachtung bedürfen.[26] Diese Forderung deckt sich auch mit den Zielen der Medizinsoziologie, die gesellschaftliche Einflüsse auf das Krankheitsverständnis herausarbeitet. So sollen Voraussetzungen für ein einfühlendes ärztliches Handeln geschaffen werden. Hierbei ist der Patient nicht nur als „Objekt“, sondern als hilfesuchender Partner einer sozialen Beziehung anzusehen. Solche Forderungen sind nicht ohne die gezielte Selbstbeobachtung und Analyse von verhaltenssteuernden Werten und Einstellungen bei angehenden Ärzten zu verwirklichen.[4]

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Abb. 5. Münze mit Janus-Kopf (ca. 220 n. Chr.) Janus als Gott der Stadttore symbolisiert den Übergang von der Innen- zur Außenwelt. Zwei Gesichter verdeutlichen eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine ambivalente Kritik. Die Abbildung wird hier stellvertretend für die Rolle der Psychiatrie verwendet, vgl. Abb. 4. Sie hat sowohl die Interessen der Betroffenen als auch die der Allgemeinheit und der nächsten Umgebung zu berücksichtigen und nimmt somit auch eine politische Verantwortung wahr. Heraklit bezeichnete diese Einheit von Gegensätzen als Enatiodromie.

Übereinstimmung besteht insofern auch mit den Grundzügen der Politischen Psychologie. Sie unterscheidet Selbstdarstellung und Selbstdeutung der Politik und der offiziellen Organe des Gesundheitswesens durch den Versuch, das Wahlverhalten der Bürger positiv zu beeinflussen (Wählerpsychologie) von einer kritischen Einstellung der Individuen. Kritisch wird diese Einstellung dann, wenn erwähnte Darstellungstechniken der gesellschaftlichen Institutionen als tendenziöse und ideologisch ausgerichtete Simplifizierungen[27] oder als Ausdruck des Klassenkampfs[28] entlarvt werden. Diese Kenntnis des doppelten Gesichts der Psychiatrie (vgl. Abb. 5) erscheint als Voraussetzung für das Verständnis der Geschichte der Psychiatrie.[29] Politische Psychiatrie ist auch der Vorstellung vom kollektiven Unbewussten von Carl Gustav Jung verbunden. Das doppelte Gesicht der Psychiatrie wird dann spürbar, wenn einseitig vernünftige Einstellungen trotz ihrer unleugbaren Erfolge verabsolutiert werden.[30] Das Gegenteil solcher „vernünftigen Einstellungen“ wird etwa in den Finanzkrisen ab 2008 durch die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten sichtbar, siehe auch das oben genannte Beispiel der Einflußnahme auf die Arbeitsplatzpolitik und die Veränderung der psychiatrischen Krankenversorgung.

Kritische Psychiatrie beschränkt sich im Gegensatz zum gesamtgesellschaftlichen Bezug der Politischen Psychologie auf die Realität von Patienten. Beispielsweise kann die Wirksamkeit von institutionell als heilsam verbrämten Behandlungsmethoden in Frage gestellt werden.[31] oder gar die Persönlichkeit politischer Führer bzw. Funktionäre mit psychiatrischer Terminologie beschrieben werden.[32]

Bedeutung

Die Bedeutung der p. P. muss daran gemessen werden, dass psychisch Kranke einen empfindlichen Indikator für mögliche politische Prozesse darstellen, die von der Gesellschaft insgesamt und den ständig wachsenden Kosten des Gesundheitssystems aufzufangen sind. Die Beschäftigung mit solchen Fragen ist keine Beschäftigung mit den Problemen einer psychiatrischen Randgruppe, sondern mit allgemein verbreiteten psychologischen Mechanismen, die als politische Bürger jeden von uns direkt oder indirekt betreffen. Es bedarf daher einer „Aufklärungspolitik“, die den Personenkreis der Betroffenen in eine Emanzipation mit einbezieht, welche die „Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit“ nicht nur vorgibt, um den eigenen Status der Deutungsmacht zu sichern, sondern offen ist für eine kritische Theorie der politisch-praktischen Umsetzung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese Offenheit verpflichtet, die Kritik gesellschaftlicher Bedingtheit von „Unmündigkeit“ auch an sich selbst zuzulassen und anzuwenden.[33] [34]

Einige Brennpunkte der Politischen Psychiatrie

Die Frage der weltweit zunehmenden Verordnung von Medikamenten für Kinder hat viele Betroffene und Nichtbetroffene zum Thema Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom und Psychopharmaka bedenklich gemacht.

Aus der Diskussion um die Sicherheitsverwahrung wird eine demokratische Kontrolle gefordert, wie es um die Zustände in den entsprechenden Einrichtungen bzw. Kliniken bestellt ist.

Siehe auch

Literatur

  • Storz, Dieter: Politische Psychiatrie. Verlag: Humanistische Union, Ortsverband Essen, 1980 – 27 Seiten DNB

Einzelnachweise

  1. Storz, Dieter: Politische Psychiatrie. – Humanistische Union, Ortsverband Essen, 1980 - 27 Seiten DNB; Seite 1 ff.
  2. Arnold, Wilhelm et al. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Bechtermünz, Augsburg 1996, ISBN 3-86047-508-8, Spalte 1648 ff.
  3. Weinmann, Stefan: Erfolgsmythos Psychopharmaka. Warum wir Medikamente in der Psychiatrie neu bewerten müssen. Psychiatrie-Verlag, Bonn 12008, Fachwissen, ISBN 978-3-88414-455-8, 264 Seiten
  4. 4,0 4,1 Siegrist, Johannes: Lehrbuch der Medizinischen Soziologie. Urban & Schwarzenberg, München 3 1977, ISBN 3-541-06383-1; (-,0): Seite 8; (-,1): Seiten 6, 15, 27, 30, 39, 147, 198, 224
  5. Grubitzsch, Siegfried und Günther Rexilius (Hrsg.): Psychologische Grundbegriffe. Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Ein Handbuch. rororo rowohlts enzyklopädie 3280, Reinbek bei Hamburg 1990, ISBN 4399554380, Seite 766 ff.
  6. Schnell: Gulag als Systemstelle, S. 134.
  7. 7,0 7,1 Richter, Horst Eberhard: Die Gruppe. Hoffnung auf einen neuen Weg, sich selbst und andere zu befreien. Psychoanalyse in Kooperation mit Gruppeninitiativen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 11972, ISBN 3-498-05672-7; (-,0): Cover; (-,1): Seite 336.
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 Wulff, Erich: Psychisches Leiden und Politik – Ansichten der Psychiatrie. Campus Frankfurt / M 1981, ISBN 3-593-32940-9; (-,0): zu Stw. „Arbeitsplatzpolitik“: Seite 115 ff.; (-,1): zu Stw. „Ambulante psychiatrische Krankenversorgung“: Seite 45 ff.; (-,2): zu Stw. „Psychiatrische Großkrankenhäuser“: Seite 39 ff.; (-,3): zu Stw. „Erfolge im Kampf um politische Anerkennung“: Seite 54 f.
  9. 9,0 9,1 Katzenmeier, Christian: Arzthaftung. J.C.B. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147681-6, (-,0): zu Stw. „Gründe für zunehmende Anzahl von Arzthaftungsprozessen“: Seite 10 ff., zu Stw. „Strukturierung der Arzthaftungskasuistik und Statistik“ Seite 276 f. (weitere Literatur siehe Fußnote 36); (-,1): zu Stw. „Erwartungen einer emanzipierten Patientenschaft“: Seite 25 ff.
  10. Mentzos, Stavros: Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 21992, ISBN 3-525-45727-8; zu den Stw. „Zwang als Kompensation von Angst und das ambivalente Verhältnis zu diesem“; „Zwang als pathologisches psychosoziales Arrangement“; „Psychiatrisierung in der Sowjetunion“; „Antipsychiatriebewegung in den 60er und 70er Jahren“; „Gebrauch von Psychopharmaka“: in: Kap. VII. Die Beziehungen zwischen dem intrapsychischen und dem institutionellen Zwang, Seite 126-134.
  11. Mentzos, Stavros: Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Suhrkamp, Frankfurt / Main 21989
  12. Leuschner, Wilhelm: Psychiatrische Anstalten – ein institutionalisiertes Abwehrsystem. Teil I: Psychiatrische Praxis 1985; 12: 111; Teil II. Psychiatrische Praxis 1985; 12: 149-153
  13. Arendt, Hannah: Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie. 11985, Piper, ISBN 3-492-02824-1; Seite 115 ff.
  14. https://de.wikipedia.org/wiki/Psychiatrie-Enqu%C3%AAte
  15. Peters, Uwe Henrik: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Seite 434
  16. 16,0 16,1 Wulff, Erich: Grundfragen der transkulturellen Psychiatrie. In: Psychiatrie und Klassengesellschaft. Athenäum Fischer Taschenbuchverlag, Sozialwissenschaften, Frankfurt / M, 1972, ISBN 3-8072-4005-5, (-,0): Anmerkung: Das hier angesprochene Kapitel ›Probleme der Krankenversorgung und Klinik‹ und das ihm als erstes vorangestellte Unterkapitel ›Der Arzt und das Geld‹ zeigt bereits eine dem Thema eigene dialektische Widersprüchlichkeit. Jeder Arzt bekanntlich, der einen Patienten heilt, handelt in einem gewissen Sinne gegen seine eigenen wirtschaftlichen Interessen; (-,1): zu Stw. „Regelkreise“ Seiten 130, 169 ff.
  17. Referenzfehler: Es ist ein ungültiger <ref>-Tag vorhanden: Für die Referenz namens B+I wurde kein Text angegeben.
  18. 18,0 18,1 Freedman, A.M., H.I. Kaplan et al. (Hrsg.): Psychiatrie in Praxis und Klinik. 7 Bände; Georg Thieme Stuttgart 1991, Psychiatrische Probleme der Gegenwart I. Band 5, Begegnungen zwischen Psychiatrie und Politik, Seite 277 (Autor des Kap. ist Bertram S. Brown, Direktor des National Institute of Mental Health von 1970–1977)
  19. z. B. Deutsche Vereinigung gegen politischen Mißbrauch der Psychiatrie e. V., Amnesty international
  20. Jervis, Giovanni Kritisches Handbuch der Psychiatrie. Syndikat, Autoren- und Verlagsgesellschaft, Frankfurt © 1978 Fuldaer Verlagsanstalt,31980, ISBN 3-8108-0167-4 kart., Seite 100 ff.
  21. Weiss, Hans: Korrupte Medizin. Ärzte als Komplizen der Konzerne. Kiepenheuer & Witsch, Köln 12008, ISBN 978-3-462-04037-1
  22. Lütz, Manfred: Irre!. Wir behandeln die Falschen – Unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 12009, ISBN 978-3-579-06879-4 fernladbare Buchbesprechung mit dem Autor unter dem Datum vom 31.01.2010
  23. Fromm, Erich: Die Pathologie der Normalität, 2005. ISBN 3-548-36778-X
  24. Gough, Kathleen: Des propositions nouvelles pour les anthropologues. Seite 25; In: Copans, J. (Hrsg.): Anthropologie et impérialisme. Paris 1975: Seiten 17-35
  25. Devereux, Georges: Normal und anormal – Aufsätze zur allgemeinen Ethnopsychiatrie. Suhrkamp, Frankfurt 11974, ISBN 3-518-06390-1, Seite 19 f.
  26. Mentzos, Stavros: Neurotische Konfliktverarbeitung; Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler Verlag, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-42239-6, Seiten 50, 256, 259, 265, Stw. institutionelle Abwehr
  27. Horn, K.: Bemerkungen zur politischen Konsequenz des Psychologismus psychologischer Denkmodelle und Vorschläge zu dessen Überwindung. In: Wulf, Christoph (Hrsg.): Kritische Friedenserziehung. edition suhrkamp stw 661, Frankfurt / M. 1973, ISBN 3-518-00661-4, Sachgebiet Sozialwissenschaft
  28. Brückner, Peter und A. Krovoza: Staatsfeinde. Innerstaatliche Feinderklärung in der BRD. Berlin 1972.
  29. Jervis, Giovanni: Manuale critico di psiciatria. © Giangiacomo Feltrinelli Editore, Milano 1975. dt.: Kritisches Handbuch der Psychiatrie. Athenäum, Frankfurt / M 1988, ISBN 3-610-04604-X, Seite 46.
  30. Jacobi, Jolande: Die Psychologie von C.G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtwerk. Mit einem Geleitwort von C.G. Jung. Fischer Taschenbuch, Frankfurt März 1987, ISBN 3-596-26365-4, Seite 83 f.
  31. Illich, Ivan: Die Enteignung der Gesundheit. Medical Nemesis oder: Die Medizin ist zu einer Hauptgefahr für die Gesundheit geworden. Rohwohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1975, ISBN 3-498-03202-X, Abhängigkeit von Medikamenten, Seite 41
  32. Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität. dva, Stuttgart, 31977, ISBN 3-421-01686-0, Seiten 251 ff. (Josef Stalin), 271 ff. (Heinrich Himmler), 335 ff. (Adolf Hitler)
  33. Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie. Kröner, Stuttgart 1994, ISBN 3-520-41004-4; zu Stw. „Emanzipation“: Seite 421
  34. Referenzfehler: Es ist ein ungültiger <ref>-Tag vorhanden: Für die Referenz namens EDM wurde kein Text angegeben.

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