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Politische Psychiatrie: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Politische Psychiatrie''' (p. P.) ist ein umfassender Begriff der Psychiatrie, der die Verflechtung des psychiatrischen Fachgebiets innerhalb gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse zum Gegenstand hat. Übereinstimmend mit dem Begriff der [[Politische Psychologie|Politischen Psychologie]] liegt der Schwer- und Bezugspunkt einer p.&nbsp;P. beim ''Individuum''. Im Falle der p.&nbsp;P. bündelt sich der Einfluß der Politik jedoch auf die Rolle des einzelnen Kranken innerhalb der Gesellschaft, häufig jedoch auf dem Umweg über die Institution Psychiatrie. Forschungsfragen richten sich unter dieser Voraussetzung auf Untersuchungen, „wie Politisches sich den Individuen darstellt, zu welchem Verhalten es sie herausfordert und in welchen Ausformungen es ihren Bestrebungen entgegenkommt oder zumindest von ihnen akzeptiert wird“.<ref>[[Siegfried Grubitzsch|Grubitzsch, Siegfried]] und [[Günther Rexilius]] (Hrsg.): ''Psychologische Grundbegriffe.'' Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Ein Handbuch. rororo rowohlts enzyklopädie 3280, Reinbek bei Hamburg 1990, ISBN 4399554380, Seite 766 ff.</ref> Es handelt sich also weniger um allgemeine psychologische Mechanismen gesellschaftlicher Einflußnahmen als vielmehr um eine Summe von Einzelfällen, die sowohl Rückschlüsse auf den oder auf die jeweils betroffenen Kranken, aber auch auf die Institution Psychiatrie und auf die Politik als einer gesellschaftlichen Einheit zulassen. Dies bewirkt auch eine veränderte Sichtweise psychischer Erkrankungen in Abhängigkeit von der durch ein politisches System bestimmten Haltung gegenüber den gemeinhin als ''psychisch krank'' angesehenen Betroffenen, die sich z.&nbsp;T. mit irrationalen gesellschaftlichen Stigmata behaftet empfinden. Diese veränderte Sichtweise bezieht auch die Reaktion dieser Betroffenen als relevante politische Gruppierung mit ein, so z.&nbsp;B. in Form von politisch organisierten Betroffenenverbänden, Selbsthilfegruppen etc.
'''Politische Psychiatrie''' (p. P.) ist ein umfassender Begriff der Psychiatrie, der die Verflechtung des psychiatrischen Fachgebiets innerhalb gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse zum Gegenstand hat. Übereinstimmend mit dem Begriff der [[Politische Psychologie|Politischen Psychologie]] liegt der Schwer- und Bezugspunkt einer p.&nbsp;P. beim ''Individuum''. Im Falle der p.&nbsp;P. bündelt sich der Einfluß der Politik jedoch auf die Rolle einzelner Kranker innerhalb der Gesellschaft, häufig jedoch auf dem Umweg über die Institution Psychiatrie. Forschungsfragen richten sich unter dieser Voraussetzung auf Untersuchungen, „wie Politisches sich den Individuen darstellt, zu welchem Verhalten es sie herausfordert und in welchen Ausformungen es ihren Bestrebungen entgegenkommt oder zumindest von ihnen akzeptiert wird“.<ref>[[Siegfried Grubitzsch|Grubitzsch, Siegfried]] und [[Günther Rexilius]] (Hrsg.): ''Psychologische Grundbegriffe.'' Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Ein Handbuch. rororo rowohlts enzyklopädie 3280, Reinbek bei Hamburg 1990, ISBN 4399554380, Seite 766 ff.</ref> Es handelt sich also weniger um allgemeine psychologische Mechanismen gesellschaftlicher Einflußnahmen als vielmehr um eine Summe von Einzelfällen und Einzelschicksalen, deren gesellschaftliche und politische Einwirkung und Bedingtheit in Frage steht. Solche Fälle lassen sowohl Rückschlüsse auf den oder die jeweils betroffenen Kranken zu, als auch auf die Institution Psychiatrie und auf die Politik als einer organischen gesellschaftlichen Einheit. Dies bewirkt auch eine veränderte Sichtweise psychischer Erkrankungen in Abhängigkeit von der durch ein politisches System bestimmten Haltung gegenüber den gemeinhin als ''psychisch krank'' angesehenen Betroffenen, die sich z.&nbsp;T. mit irrationalen gesellschaftlichen Stigmata behaftet empfinden. Hier wird oft von Psychiatrie als Herrschaft gesprochen. Diese veränderte Sichtweise bezieht auch die Reaktion dieser Betroffenen als relevante politische Gruppierung mit ein, so z.&nbsp;B. in Form von politisch organisierten Betroffenenverbänden, Selbsthilfegruppen etc.


== Beispiele politischer Psychiatrie ==
== Beispiele politischer Psychiatrie ==
* Übernahme von Selbstverantwortung z.&nbsp;B. innerhalb von Betroffenen- und Selbsthilfeverbänden gegen zunehmende Selbstentmündigung durch wachsende Vermarktung von [[Psychopharmaka]] und wachsende [[Medikalisierung]]<ref>[[Hans Weiss|Weiss, Hans]]: ''Korrupte Medizin''. Ärzte als Komplizen der Konzerne. [[Kiepenheuer & Witsch]], Köln <sup>1</sup>2008, ISBN 978-3-462-04037-1</ref> <ref>[[Manfred Lütz|Lütz, Manfred]]: ''Irre!''. Wir behandeln die Falschen – Unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh <sup>1</sup>2009, ISBN 978-3-579-06879-4 [http://pcast.sr-online.de/feeds/fragen/feed.xml fernladbare Buchbesprechung mit dem Autor unter dem Datum vom 31.01.2010]</ref> <ref>[[Erich Fromm|Fromm, Erich]] und Rainer Funk: ''Die Pathologie der Normalität'', 2005. ISBN 3-548-36778-X</ref>
* Übernahme von Selbstverantwortung z.&nbsp;B. innerhalb von Betroffenen- und Selbsthilfeverbänden gegen zunehmende Selbstentmündigung durch wachsende Vermarktung von [[Psychopharmaka]] und wachsende [[Medikalisierung]]<ref>[[Hans Weiss|Weiss, Hans]]: ''Korrupte Medizin''. Ärzte als Komplizen der Konzerne. [[Kiepenheuer & Witsch]], Köln <sup>1</sup>2008, ISBN 978-3-462-04037-1</ref> <ref>[[Manfred Lütz|Lütz, Manfred]]: ''Irre!''. Wir behandeln die Falschen – Unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh <sup>1</sup>2009, ISBN 978-3-579-06879-4 [http://pcast.sr-online.de/feeds/fragen/feed.xml fernladbare Buchbesprechung mit dem Autor unter dem Datum vom 31.01.2010]</ref> <ref>[[Erich Fromm|Fromm, Erich]] und Rainer Funk: ''Die Pathologie der Normalität'', 2005. ISBN 3-548-36778-X</ref>
* Organisierte Einflußnahme auf die Arbeitsplatzpolitik z.B. durch gewerkschaftliche Aktivität, die den Belangen psychisch Betroffener gerecht werden. Analyse des Zusammenhangs von Arbeitsplatzpolitik und Häufigkeit psychischer Krankheit z.B. durch Verschärfung der Auswahlkriterien; Rolle des Arbeitsplatzes im Hinblick auf den Erhalt seelischer Gesundheit und hoher gesellschaftlicher Kostenfaktor der Arbeitslosigkeit<ref name="PLP">[[Erich Wulff|Wulff, Erich]]: ''Psychisches Leiden und Politik'' – Ansichten der Psychiatrie. Campus Frankfurt / M 1981; (1,0) zu Stw. „Arbeitsplatzpolitik“: Seite 115 ff.; (1,1) zu Stw. „Ambulante psychiatrische Krankenversorgung“: Seite (1,2) zu Stw. 45 ff.; „Psychiatrische Großkrankenhäuser“: Seite 39 ff.;</ref>
* Organisierte Einflußnahme auf die Arbeitsplatzpolitik z.B. durch gewerkschaftliche Aktivität, die den Belangen psychisch Betroffener gerecht werden. Analyse des Zusammenhangs von Arbeitsplatzpolitik und Häufigkeit psychischer Krankheit z.B. durch Verschärfung der Auswahlkriterien; Rolle des Arbeitsplatzes im Hinblick auf den Erhalt seelischer Gesundheit und hoher gesellschaftlicher Kostenfaktor der Arbeitslosigkeit<ref name="PLP">[[Erich Wulff|Wulff, Erich]]: ''Psychisches Leiden und Politik'' – Ansichten der Psychiatrie. Campus Frankfurt / M 1981; (-,0) zu Stw. „Arbeitsplatzpolitik“: Seite 115 ff.; (-,1) zu Stw. „Ambulante psychiatrische Krankenversorgung“: Seite 45 ff.; (-,2) zu Stw. „Psychiatrische Großkrankenhäuser“: Seite 39 ff.;</ref>
* Sensibilität für die psychiatrische Rechtspflege und Aufdeckung diskriminierender fallbezogener Urteile in der Öffentlichkeit (psychiatrische Forensik)<ref>[[Christian Katzenmeier|Katzenmeier, Christian]] ''Arzthaftung''. J.C.B. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147681-6, Seiten 29, 276 f.</ref>
* Sensibilität für die psychiatrische Rechtspflege und Aufdeckung diskriminierender fallbezogener Urteile in der Öffentlichkeit (psychiatrische Forensik)<ref>[[Christian Katzenmeier|Katzenmeier, Christian]] ''Arzthaftung''. J.C.B. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147681-6, Seiten 29, 276 f.</ref>
* Veränderung der psychiatrischen Krankenversorgung mit Angeboten zur Schaffung gemeindenaher, d.&nbsp;h. wohnort- und arbeitsplatznaher Beratungsdienste oder teilstationärer Maßnahmen, wie Tages- und Nachkliniken, die hohe Kosten im Gesundheitswesen umgehen durch Einsparung von Krankenhauseinweisung<ref name="PLP" />
* Veränderung der psychiatrischen Krankenversorgung mit Angeboten zur Schaffung gemeindenaher, d.&nbsp;h. wohnort- und arbeitsplatznaher Beratungsdienste oder teilstationärer Maßnahmen, wie Tages- und Nachkliniken, die hohe Kosten im Gesundheitswesen umgehen durch Einsparung von Krankenhauseinweisung<ref name="PLP" />
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== Geschichte ==
== Geschichte ==
Die Bereitschaft zur Eigenreflexion bzw. zur Selbst- und Beziehungsanalyse war bei Vertretern der klassischen deutschen Psychiatrie, die sich dem Freudschen Modell bekanntlich verschlossen hat, entsprechend gering. <ref name="B+I">[[Klaus Dörner|Dörner, Klaus]]: ''Bürger und Irre, Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie''. [1969] Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; (2,0) zu Stw. „Akzeptanz der Psychoanalyse“: Seite 12 unten einschl. Fußnote 4; (2,1) zu Stw. „Wissenschaftssoziologie“: Seiten 19, 21, sonst ohne Beschränkung siehe Buchtitel</ref> Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass im deutschen Sprachraum Begriffe wie „Politik“ in psychiatrischen Fachlexika gefehlt haben, da sie zu den selbstredend vorausgesetzten Prinzipien einer „[[political correctness]]“ bzw. [[Anpassung|Angepasstheit]] gehörten. Daher ist der Begriff der p.P. auch in vielen deutschen psychiatrischen Fachlexika noch nicht enthalten. Shorter erwähnt die Psychiatrie als Vermittlerin sozialer Kontrolle im Index („agency of social control“) und erwähnt die kulturellen und politischen Einflüsse auf die Psychiatrie („cultural and political influences on psychiatry“).<ref name="DHP">[[Edward Shorter|Shorter, Edward]] ''A historical Dictionary of Psychiatry''. Oxford University Press, New York, <sup>1</sup>2005, ISBN 0-19-517668-5; (3,0) zu Stw. „Politik“: Seite 127, 24; (3,1) zu Stw. „Antipsychiatrie“: Seite 22-26, insbesondere Seite 24; [http://issuu.com/dostum/docs/a-20historical-20dictionary-20-1 fernladbarer Text]</ref>
Die Bereitschaft zur Eigenreflexion bzw. zur Selbst- und Beziehungsanalyse war bei Vertretern der klassischen deutschen Psychiatrie, die sich dem Freudschen Modell bekanntlich verschlossen hat, entsprechend gering. <ref name="B+I">[[Klaus Dörner|Dörner, Klaus]]: ''Bürger und Irre, Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie''. [1969] Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; (-,0) zu Stw. „Akzeptanz der Psychoanalyse“: Seite 12 unten einschl. Fußnote 4; (-,1) zu Stw. „Wissenschaftssoziologie“: Seiten 19, 21, sonst gesamter Buchinhalt ohne Beschränkung, siehe Buchtitel</ref> Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass im deutschen Sprachraum Begriffe wie „Politik“ bzw. der „p.&nbsp;P.“ in psychiatrischen Fachlexika gefehlt haben, da sie zu den selbstredend vorausgesetzten Prinzipien einer „[[political correctness]]“ bzw. [[Anpassung|Angepasstheit]] gehörten. Die Erwartungen der sich diskriminiert fühlenden Betroffenen zielen jedoch nicht ab auf Angepasstheit, sondern auf Emanzipation.<ref>AStA Heidelberg und Sozialistischer Heidelberger Studentenbund (SHS) (Hrsg.): ''Dokumentation zur Verfolgung des [[Sozialistisches Patientenkollektiv Heidelberg|Sozialistischen Patientenkollektivs]].'' Teil 1 und Teil 2; 73 Seiten (Teil 1) und 172 Seiten (Teil 2), 1972 mit Pressespiegel bis 22.08.1971 (Teil 1) bzw. bis 20.04.1972 (Teil 2); Bezug: Teil 1, Seite 2 (Richter-Gutachten 14.07.1970)</ref> Shorter erwähnt die Psychiatrie als Vermittlerin sozialer Kontrolle im Index seines Buchs („agency of social control“). Er erwähnt auch die kulturellen und politischen Einflüsse auf die Psychiatrie („cultural and political influences on psychiatry“).<ref name="DHP">[[Edward Shorter|Shorter, Edward]] ''A historical Dictionary of Psychiatry''. Oxford University Press, New York, <sup>1</sup>2005, ISBN 0-19-517668-5; (-,0) zu Stw. „Politik“: Seite 127, 24; (-,1) zu Stw. „Antipsychiatrie“: Seite 22-26, insbesondere Seite 24; [http://issuu.com/dostum/docs/a-20historical-20dictionary-20-1 fernladbarer Text]</ref>
 
Sind somit Fälle wie der von [[Dieter Spazier]] beschriebene Tod eines Psychiaters als typisch anzusehen für das politische System der Psychiatrie, zu dem sich auch und vielleicht gerade solche Personen hingezogen fühlen, die nicht davor zurückscheuen, auf diese Weise eine unkontrollierte Macht über langfristig hilfsbedürftige Personen auszuüben?<ref>[[Dieter Spazier|Spazier, Dieter]] "Der Tod des Psychiaters" Syndikat-Verlag, Frankfurt m Main, 236 Seiten; [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14023342.html fernladbare Buchbesprechung, Spiegel 13/1983 vom 28.03.1983]</ref>


== Facetten einer Politischen Psychiatrie ==
== Facetten einer Politischen Psychiatrie ==
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*[[Vergleichende Psychiatrie|'''vergleichenden und internationalen Psychiatrie''']]. – Die p.&nbsp;P. lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven verstehen. Meist wird darunter die  
*[[Vergleichende Psychiatrie|'''vergleichenden und internationalen Psychiatrie''']]. – Die p.&nbsp;P. lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven verstehen. Meist wird darunter die  
*'''administrative Psychiatrie''' verstanden, welche die Organisationstätigkeit leitender Psychiater an großen psychiatrischen Einrichtungen umfasst.<ref>[[Uwe Henrik Peters|Peters, Uwe Henrik]]: ''Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie''. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Seite 434</ref> Oft wird darunter aber auch die
*'''administrative Psychiatrie''' verstanden, welche die Organisationstätigkeit leitender Psychiater an großen psychiatrischen Einrichtungen umfasst.<ref>[[Uwe Henrik Peters|Peters, Uwe Henrik]]: ''Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie''. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Seite 434</ref> Oft wird darunter aber auch die
*[[Kollektivbewusstsein|'''kollektive psychologische Einflussnahme''']] auf den einzelnen Kranken verstanden. Im Hinblick auf die Brennpunkte einer facettenreichen Psychiatrie bezieht sich das Selbstverständnis der p. P. oft auch – in kritischer Hinsicht – auf die nicht immer widerspruchsfreie, häufig missbräuchliche Arbeitsweise und Haltung des staatlichen psychiatrischen Gesundheitssystems, verantwortlicher politischer Organe und Organisationen von Berufsgruppen innerhalb dieses Gesundheitssystems wie z.&nbsp;B. [[Ärztekammern]], [[Kassenärztliche Vereinigung|Kassenärztlicher Vereinigung]] etc.<ref name="Wulff">[[Erich Wulff|Wulff, Erich]]: ''Grundfragen der transkulturellen Psychiatrie.'' In: Psychiatrie und Klassengesellschaft. Athenäum Fischer Taschenbuchverlag, Sozialwissenschaften, Frankfurt / M, 1972, ISBN 3-8072-4005-5, (4,0) Anmerkung: Das unter (4,0) angesprochene Kapitel ›Probleme der Krankenversorgung und Klinik‹ und das ihm als erstes vorangestellte Unterkapitel ›Der Arzt und das Geld‹ zeigt bereits eine dem Thema eigene [[dialektisch]]e Widersprüchlichkeit. Jeder Arzt bekanntlich, der einen Patienten heilt, handelt in einem gewissen Sinne gegen seine eigenen wirtschaftlichen Interessen; (4,1) zu Stw. „Regelkreise“ Seiten 130, 169 ff.</ref> Entsprechend der Definition für Politische Psychiatrie, in welcher der Wert des Einzelnen im Vordergrund steht, wird die Frage nach den Fortschritten der psychiatrischen Heilkunde für die betroffenen Kranken gestellt. Solche Fragen folgen dem Prinzip der  
*[[Kollektivbewusstsein|'''kollektive psychologische Einflussnahme''']] auf den einzelnen Kranken verstanden. Im Hinblick auf die Brennpunkte einer facettenreichen Psychiatrie bezieht sich das Selbstverständnis der p. P. oft auch – in kritischer Hinsicht – auf die nicht immer widerspruchsfreie, häufig missbräuchliche Arbeitsweise und Haltung des staatlichen psychiatrischen Gesundheitssystems, verantwortlicher politischer Organe und Organisationen von Berufsgruppen innerhalb dieses Gesundheitssystems wie z.&nbsp;B. [[Ärztekammern]], [[Kassenärztliche Vereinigung|Kassenärztlicher Vereinigung]] etc.<ref name="Wulff">[[Erich Wulff|Wulff, Erich]]: ''Grundfragen der transkulturellen Psychiatrie.'' In: Psychiatrie und Klassengesellschaft. Athenäum Fischer Taschenbuchverlag, Sozialwissenschaften, Frankfurt / M, 1972, ISBN 3-8072-4005-5, (-,0) Anmerkung: Das unter (-,0) angesprochene Kapitel ›Probleme der Krankenversorgung und Klinik‹ und das ihm als erstes vorangestellte Unterkapitel ›Der Arzt und das Geld‹ zeigt bereits eine dem Thema eigene [[dialektisch]]e Widersprüchlichkeit. Jeder Arzt bekanntlich, der einen Patienten heilt, handelt in einem gewissen Sinne gegen seine eigenen wirtschaftlichen Interessen; (-,1) zu Stw. „Regelkreise“ Seiten 130, 169 ff.</ref> Entsprechend der Definition für p.&nbsp;P., in welcher der Wert des Einzelnen im Vordergrund steht, wird die Frage nach den Fortschritten der psychiatrischen Heilkunde für die betroffenen Kranken gestellt. Solche Fragen folgen dem Prinzip der  
*'''[[Wissenschaftssoziologie]]'''.<ref name="B+I" /> – Manchmal wird ganz allgemein jede  
*'''[[Wissenschaftssoziologie]]'''.<ref name="B+I" /> – Manchmal wird ganz allgemein jede  
*'''Interaktion zwischen Psychiatrie und Politik''' als Politische Psychiatrie bezeichnet. <ref name="Freedman">[[Freedman]], A.M., H.I. Kaplan et al. (Hrsg.): ''Psychiatrie in Praxis und Klinik''. 7 Bände; Georg Thieme Stuttgart 1991, Psychiatrische Probleme der Gegenwart I. Band 5, Begegnungen zwischen Psychiatrie und Politik, Seite 277 (Autor des Kap. ist Bertram S. Brown, [http://en.wikipedia.org/wiki/National_Institute_of_Mental_Health#NIMH_directors Direktor] des [[National Institute of Mental Health]] von 1970–1977)</ref> –  
*'''Interaktion zwischen Psychiatrie und Politik''' als p.&nbsp;P. bezeichnet. <ref name="Freedman">[[Freedman]], A.M., H.I. Kaplan et al. (Hrsg.): ''Psychiatrie in Praxis und Klinik''. 7 Bände; Georg Thieme Stuttgart 1991, Psychiatrische Probleme der Gegenwart I. Band 5, Begegnungen zwischen Psychiatrie und Politik, Seite 277 (Autor des Kap. ist Bertram S. Brown, [http://en.wikipedia.org/wiki/National_Institute_of_Mental_Health#NIMH_directors Direktor] des [[National Institute of Mental Health]] von 1970–1977)</ref> –  
*'''Politisch motivierter Missbrauch der Psychiatrie''' und ihrer Einrichtungen wurde häufig von anthropologisch ausgerichteten Psychiatern oder internationalen Organisationen angeprangert.<ref>z.&nbsp;B. [http://www.psychiatrie-und-ethik.de/rundbriefe/RB1-88.htm Deutsche Vereinigng gegen politischen Mißbrauch der Psychiatrie e.&nbsp;V.], [[Amnesty international]]</ref> Eine besondere Schwierigkeit stellt jedoch die Anwendung solch kritischer Haltungen und Maximen im eigenen Land dar. Diese Missbrauchsvorwürfe beziehen sich meist auf Einschränkungen unveräußerlicher [[Persönlichkeitsrechte]] und Rechte auf [[Gleichbehandlung]]. Ein solches Prinzip ist auch die Sicherstellung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit aller Menschen, wie es u.&nbsp;a. die Organisation [[Amnesty_international#Ziele_und_Arbeitsweise|Amnesty international]] vertritt. Es erscheint wichtig, dass solche Ziele [[global]] und nicht in rechtfertigender Absicht von einem [[Ethnozentrismus|ethnozentrischen]] oder [[Kulturalismus|kulturalistischen]] Standpunkt aus vertreten werden. Die Missbrauchsthematik grenzt Politische Psychologie und Politische Psychiatrie voneinander ab. Insofern von den Prinzipien einer verstehenden Psychiatrie für die subjektiven lebensgeschichtlichen Voraussetzungen kranker Menschen ausgegangen wird, wird häufig auch von
*'''Politisch motivierter Missbrauch der Psychiatrie''' und ihrer Einrichtungen wurde häufig von anthropologisch ausgerichteten Psychiatern oder internationalen Organisationen angeprangert.<ref>z.&nbsp;B. [http://www.psychiatrie-und-ethik.de/rundbriefe/RB1-88.htm Deutsche Vereinigng gegen politischen Mißbrauch der Psychiatrie e.&nbsp;V.], [[Amnesty international]]</ref> Eine besondere Schwierigkeit stellt jedoch die Anwendung solch kritischer Haltungen und Maximen im eigenen Land dar. Diese Missbrauchsvorwürfe beziehen sich meist auf Einschränkungen unveräußerlicher [[Persönlichkeitsrechte]] und Rechte auf [[Gleichbehandlung]]. Ein solches Prinzip ist auch die Sicherstellung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit aller Menschen, wie es u.&nbsp;a. die Organisation [[Amnesty_international#Ziele_und_Arbeitsweise|Amnesty international]] vertritt. Es erscheint wichtig, dass solche Ziele [[global]] und nicht in rechtfertigender Absicht von einem [[Ethnozentrismus|ethnozentrischen]] oder [[Kulturalismus|kulturalistischen]] Standpunkt aus vertreten werden. Die Missbrauchsthematik grenzt Politische Psychologie und p.&nbsp;P. voneinander ab. Insofern von den Prinzipien einer verstehenden Psychiatrie für die subjektiven lebensgeschichtlichen Voraussetzungen kranker Menschen ausgegangen wird, wird häufig auch von
*'''[[Antipsychiatrie]]''' gesprochen. Hiermit wird die Abkehr von einem traditionellen custodialen System der Psychiatrie betont, das in erster Linie auf die Sicherung der Belange der Allgemeinheit und der sozialen Kontrolle bedacht ist. Die Vermittlerrolle zwischen den Interessen der Gesellschaft und den begründeteten Interessen betroffener Individuen wird bei diesem neuen psychiatrischen Ansatz betont. Begründet wurde dieser von [[Thomas Szasz]] (1920-), [[Erving M. Goffman]] (1922-1982), [[Michel Foucault]] (1926-1984), [[Franco Basaglia]] (1924-1980), [[Ronald D. Laing]] (1927-1989) und [[David G. Cooper]] (1931-1986).<ref name="DHP" /> Für einen politischen Ansatz in der Psychiatrie sprach sich auch der der französische Psychiater [[Frantz Fanon]] (1925-1961) aus.<ref>[[Giovanni Jervis|Jervis, Giovanni]] ''Kritisches Handbuch der Psychiatrie''. Syndikat, Autoren- und Verlagsgesellschaft, Frankfurt © 1978 Fuldaer Verlagsanstalt,<sup>3</sup>1980, ISBN 3-8108-0167-4 kart., Seite 100 ff.</ref>
*'''[[Antipsychiatrie]]''' gesprochen. Hiermit wird die Abkehr von der vorwiegenden somatischen Ursachentheorie insbesondere bei der Schizophrenie betont. Damit wird eine neue Phase der Psychiatrie eingeleitet, die der Therapie gegenüber positiver aufgeschlossen war. Sie wendet sich daher auch von einem traditionellen custodialen System der Psychiatrie ab, das in erster Linie auf die Belange der Sicherung der Allgemeinheit und der sozialen Kontrolle bedacht ist. Die Vermittlerrolle zwischen den Interessen der Gesellschaft und den begründeten Interessen betroffener Individuen wird bei diesem neuen psychiatrischen Ansatz deutlicher betont, ähnlich wie er bereits von [[Sigmund Freud]] bei bestimmten von ihm als [[Neurose]]n neu definierten Fällen therapeutisch angewandt wurde. Begründet wurde dieser Ansatz von [[Thomas Szasz]] (1920-), [[Erving M. Goffman]] (1922-1982), [[Michel Foucault]] (1926-1984), [[Franco Basaglia]] (1924-1980), [[Ronald D. Laing]] (1927-1989) und [[David G. Cooper]] (1931-1986).<ref name="DHP" /> Für einen herrschaftsfreien politischen Ansatz in der Psychiatrie sprach sich auch der französische Psychiater [[Frantz Fanon]] (1925-1961) aus.<ref>[[Giovanni Jervis|Jervis, Giovanni]] ''Kritisches Handbuch der Psychiatrie''. Syndikat, Autoren- und Verlagsgesellschaft, Frankfurt © 1978 Fuldaer Verlagsanstalt,<sup>3</sup>1980, ISBN 3-8108-0167-4 kart., Seite 100 ff.</ref>


== Formen der Einflussnahmen ==
== Formen der Einflussnahmen ==

Version vom 11. März 2010, 11:12 Uhr

Politische Psychiatrie (p. P.) ist ein umfassender Begriff der Psychiatrie, der die Verflechtung des psychiatrischen Fachgebiets innerhalb gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse zum Gegenstand hat. Übereinstimmend mit dem Begriff der Politischen Psychologie liegt der Schwer- und Bezugspunkt einer p. P. beim Individuum. Im Falle der p. P. bündelt sich der Einfluß der Politik jedoch auf die Rolle einzelner Kranker innerhalb der Gesellschaft, häufig jedoch auf dem Umweg über die Institution Psychiatrie. Forschungsfragen richten sich unter dieser Voraussetzung auf Untersuchungen, „wie Politisches sich den Individuen darstellt, zu welchem Verhalten es sie herausfordert und in welchen Ausformungen es ihren Bestrebungen entgegenkommt oder zumindest von ihnen akzeptiert wird“.[1] Es handelt sich also weniger um allgemeine psychologische Mechanismen gesellschaftlicher Einflußnahmen als vielmehr um eine Summe von Einzelfällen und Einzelschicksalen, deren gesellschaftliche und politische Einwirkung und Bedingtheit in Frage steht. Solche Fälle lassen sowohl Rückschlüsse auf den oder die jeweils betroffenen Kranken zu, als auch auf die Institution Psychiatrie und auf die Politik als einer organischen gesellschaftlichen Einheit. Dies bewirkt auch eine veränderte Sichtweise psychischer Erkrankungen in Abhängigkeit von der durch ein politisches System bestimmten Haltung gegenüber den gemeinhin als psychisch krank angesehenen Betroffenen, die sich z. T. mit irrationalen gesellschaftlichen Stigmata behaftet empfinden. Hier wird oft von Psychiatrie als Herrschaft gesprochen. Diese veränderte Sichtweise bezieht auch die Reaktion dieser Betroffenen als relevante politische Gruppierung mit ein, so z. B. in Form von politisch organisierten Betroffenenverbänden, Selbsthilfegruppen etc.

Beispiele politischer Psychiatrie

  • Übernahme von Selbstverantwortung z. B. innerhalb von Betroffenen- und Selbsthilfeverbänden gegen zunehmende Selbstentmündigung durch wachsende Vermarktung von Psychopharmaka und wachsende Medikalisierung[2] [3] [4]
  • Organisierte Einflußnahme auf die Arbeitsplatzpolitik z.B. durch gewerkschaftliche Aktivität, die den Belangen psychisch Betroffener gerecht werden. Analyse des Zusammenhangs von Arbeitsplatzpolitik und Häufigkeit psychischer Krankheit z.B. durch Verschärfung der Auswahlkriterien; Rolle des Arbeitsplatzes im Hinblick auf den Erhalt seelischer Gesundheit und hoher gesellschaftlicher Kostenfaktor der Arbeitslosigkeit[5]
  • Sensibilität für die psychiatrische Rechtspflege und Aufdeckung diskriminierender fallbezogener Urteile in der Öffentlichkeit (psychiatrische Forensik)[6]
  • Veränderung der psychiatrischen Krankenversorgung mit Angeboten zur Schaffung gemeindenaher, d. h. wohnort- und arbeitsplatznaher Beratungsdienste oder teilstationärer Maßnahmen, wie Tages- und Nachkliniken, die hohe Kosten im Gesundheitswesen umgehen durch Einsparung von Krankenhauseinweisung[5]
  • Humanisierung und Demokratisierung existierender psychiatrischen Einrichtungen, vor allem psychiatrischer Großkrankenhäuser[5]

Geschichte

Die Bereitschaft zur Eigenreflexion bzw. zur Selbst- und Beziehungsanalyse war bei Vertretern der klassischen deutschen Psychiatrie, die sich dem Freudschen Modell bekanntlich verschlossen hat, entsprechend gering. [7] Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass im deutschen Sprachraum Begriffe wie „Politik“ bzw. der „p. P.“ in psychiatrischen Fachlexika gefehlt haben, da sie zu den selbstredend vorausgesetzten Prinzipien einer „political correctness“ bzw. Angepasstheit gehörten. Die Erwartungen der sich diskriminiert fühlenden Betroffenen zielen jedoch nicht ab auf Angepasstheit, sondern auf Emanzipation.[8] Shorter erwähnt die Psychiatrie als Vermittlerin sozialer Kontrolle im Index seines Buchs („agency of social control“). Er erwähnt auch die kulturellen und politischen Einflüsse auf die Psychiatrie („cultural and political influences on psychiatry“).[9]

Sind somit Fälle wie der von Dieter Spazier beschriebene Tod eines Psychiaters als typisch anzusehen für das politische System der Psychiatrie, zu dem sich auch und vielleicht gerade solche Personen hingezogen fühlen, die nicht davor zurückscheuen, auf diese Weise eine unkontrollierte Macht über langfristig hilfsbedürftige Personen auszuüben?[10]

Facetten einer Politischen Psychiatrie

Politische Psychiatrie umfasst nicht nur allgemein die Aufgaben der

  • Sozialpsychiatrie, sondern speziell auch die der
  • vergleichenden und internationalen Psychiatrie. – Die p. P. lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven verstehen. Meist wird darunter die
  • administrative Psychiatrie verstanden, welche die Organisationstätigkeit leitender Psychiater an großen psychiatrischen Einrichtungen umfasst.[11] Oft wird darunter aber auch die
  • kollektive psychologische Einflussnahme auf den einzelnen Kranken verstanden. Im Hinblick auf die Brennpunkte einer facettenreichen Psychiatrie bezieht sich das Selbstverständnis der p. P. oft auch – in kritischer Hinsicht – auf die nicht immer widerspruchsfreie, häufig missbräuchliche Arbeitsweise und Haltung des staatlichen psychiatrischen Gesundheitssystems, verantwortlicher politischer Organe und Organisationen von Berufsgruppen innerhalb dieses Gesundheitssystems wie z. B. Ärztekammern, Kassenärztlicher Vereinigung etc.[12] Entsprechend der Definition für p. P., in welcher der Wert des Einzelnen im Vordergrund steht, wird die Frage nach den Fortschritten der psychiatrischen Heilkunde für die betroffenen Kranken gestellt. Solche Fragen folgen dem Prinzip der
  • Wissenschaftssoziologie.[7] – Manchmal wird ganz allgemein jede
  • Interaktion zwischen Psychiatrie und Politik als p. P. bezeichnet. [13]
  • Politisch motivierter Missbrauch der Psychiatrie und ihrer Einrichtungen wurde häufig von anthropologisch ausgerichteten Psychiatern oder internationalen Organisationen angeprangert.[14] Eine besondere Schwierigkeit stellt jedoch die Anwendung solch kritischer Haltungen und Maximen im eigenen Land dar. Diese Missbrauchsvorwürfe beziehen sich meist auf Einschränkungen unveräußerlicher Persönlichkeitsrechte und Rechte auf Gleichbehandlung. Ein solches Prinzip ist auch die Sicherstellung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit aller Menschen, wie es u. a. die Organisation Amnesty international vertritt. Es erscheint wichtig, dass solche Ziele global und nicht in rechtfertigender Absicht von einem ethnozentrischen oder kulturalistischen Standpunkt aus vertreten werden. Die Missbrauchsthematik grenzt Politische Psychologie und p. P. voneinander ab. Insofern von den Prinzipien einer verstehenden Psychiatrie für die subjektiven lebensgeschichtlichen Voraussetzungen kranker Menschen ausgegangen wird, wird häufig auch von
  • Antipsychiatrie gesprochen. Hiermit wird die Abkehr von der vorwiegenden somatischen Ursachentheorie insbesondere bei der Schizophrenie betont. Damit wird eine neue Phase der Psychiatrie eingeleitet, die der Therapie gegenüber positiver aufgeschlossen war. Sie wendet sich daher auch von einem traditionellen custodialen System der Psychiatrie ab, das in erster Linie auf die Belange der Sicherung der Allgemeinheit und der sozialen Kontrolle bedacht ist. Die Vermittlerrolle zwischen den Interessen der Gesellschaft und den begründeten Interessen betroffener Individuen wird bei diesem neuen psychiatrischen Ansatz deutlicher betont, ähnlich wie er bereits von Sigmund Freud bei bestimmten von ihm als Neurosen neu definierten Fällen therapeutisch angewandt wurde. Begründet wurde dieser Ansatz von Thomas Szasz (1920-), Erving M. Goffman (1922-1982), Michel Foucault (1926-1984), Franco Basaglia (1924-1980), Ronald D. Laing (1927-1989) und David G. Cooper (1931-1986).[9] Für einen herrschaftsfreien politischen Ansatz in der Psychiatrie sprach sich auch der französische Psychiater Frantz Fanon (1925-1961) aus.[15]

Formen der Einflussnahmen

Diese vielfältigen Verflechtungen und Überschneidungen können übersichtshalber anhand von Abb. 1 näher veranschaulicht werden. Es sind hier zwei verschiedene Regelkreise einander gegenübergestellt. Damit sollen einige Bestimmungsrichtungen verschiedener Einflüsse und deren Rückkopplungen aufgezeigt werden.[12] Die gesellschaftliche Verantwortung psychiatrischer Institutionen als Mediator kann nicht ohne das Spannungsfeld zwischen den großen menschlichen Hoffnungen und deren gesellschaftlicher Realisierung beschrieben werden.[13] Dies ist bekanntlich Aufgabe der Wissenschaftssoziologie bzw. einer kritischen Psychiatrie (Schleife der aufsteigenden Pfeile). Psychiatrie darf sich nicht mit der Rolle einer nur angewandten Wissenschaft begnügen (Schleife der absteigenden Pfeile).[16] Forderungen nach einer kritischen Psychiatrie werden nicht nur von ethnologisch, politisch oder weltanschaulich ausgerichteten Lagern erhoben. Da es bekannt ist, dass viele Psychiater in staatlichen Krankenhausinstitutionen arbeiten und darüber hinaus das staatlich regulierte Gesundheitssystem auch über die gesetzliche Krankenversicherung und die Einrichtung von Krankenhausambulanzen den Stil der ambulanten psychiatrischen Konsultationen mitbestimmt, ist es nur als konsequent anzusehen, dass Phänomene, die z.B. als „institutionelle Abwehr“ beschrieben werden, zunehmender berufsspezifischer Beachtung bedürfen.[17] Diese Forderung deckt sich auch mit den Zielen der Medizinsoziologie, die gesellschaftliche Einflüsse auf das Krankheitsverständnis herausarbeitet. So sollen Voraussetzungen für ein einfühlendes ärztliches Handeln geschaffen werden. Hierbei ist der Patient nicht nur als „Objekt“, sondern als hilfesuchender Partner einer sozialen Beziehung anzusehen. Solche Forderungen sind nicht ohne die gezielte Selbstbeobachtung und Analyse von verhaltenssteuernden Werten und Einstellungen bei angehenden Ärzten zu verwirklichen. [18]

Politische Psychiatrie
Wechselbeziehungen

Politik, Gesellschaft, kollektive Leitbilder
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Psychiatrie
Heilkunde, individuelle Heilserwartungen
Abb. 1 Psychiatrie und gesellschaftliche Verflechtung
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Abb. 2. Münze mit Janus-Kopf (ca. 220)

Übereinstimmung besteht insofern auch mit den Grundzügen der Politischen Psychologie. Sie unterscheidet Selbstdarstellung und Selbstdeutung der Politik und der offiziellen Organe des Gesundheitswesens durch den Versuch, das Wahlverhalten der Bürger positiv zu beeinflussen (Wählerpsychologie) von einer kritischen Einstellung der Individuen. Kritisch wird diese Einstellung dann, wenn erwähnte Darstellungstechniken der gesellschaftlichen Institutionen als tendenziöse und ideologisch ausgerichtete Simplifizierungen[19] oder als Ausdruck des Klassenkampfs[20] entlarvt werden. Diese Kenntnis des doppelten Gesichts der Psychiatrie (vgl. Abb. 2) erscheint als Voraussetzung für das Verständnis der Geschichte der Psychiatrie.[21] Kritische Psychiatrie beschränkt sich im Gegensatz zum gesamtgesellschaftlichen Bezug der Politischen Psychologie auf die Realität von Patienten. Beispielsweise kann die Wirksamkeit von institutionell als heilsam verbrämten Behandlungsmethoden in Frage gestellt werden.[22] oder gar die Persönlichkeit politischer Führer bzw. Funktionäre mit psychiatrischer Terminologie beschrieben werden.[23]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Grubitzsch, Siegfried und Günther Rexilius (Hrsg.): Psychologische Grundbegriffe. Mensch und Gesellschaft in der Psychologie. Ein Handbuch. rororo rowohlts enzyklopädie 3280, Reinbek bei Hamburg 1990, ISBN 4399554380, Seite 766 ff.
  2. Weiss, Hans: Korrupte Medizin. Ärzte als Komplizen der Konzerne. Kiepenheuer & Witsch, Köln 12008, ISBN 978-3-462-04037-1
  3. Lütz, Manfred: Irre!. Wir behandeln die Falschen – Unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 12009, ISBN 978-3-579-06879-4 fernladbare Buchbesprechung mit dem Autor unter dem Datum vom 31.01.2010
  4. Fromm, Erich und Rainer Funk: Die Pathologie der Normalität, 2005. ISBN 3-548-36778-X
  5. 5,0 5,1 5,2 Wulff, Erich: Psychisches Leiden und Politik – Ansichten der Psychiatrie. Campus Frankfurt / M 1981; (-,0) zu Stw. „Arbeitsplatzpolitik“: Seite 115 ff.; (-,1) zu Stw. „Ambulante psychiatrische Krankenversorgung“: Seite 45 ff.; (-,2) zu Stw. „Psychiatrische Großkrankenhäuser“: Seite 39 ff.;
  6. Katzenmeier, Christian Arzthaftung. J.C.B. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147681-6, Seiten 29, 276 f.
  7. 7,0 7,1 Dörner, Klaus: Bürger und Irre, Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. [1969] Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; (-,0) zu Stw. „Akzeptanz der Psychoanalyse“: Seite 12 unten einschl. Fußnote 4; (-,1) zu Stw. „Wissenschaftssoziologie“: Seiten 19, 21, sonst gesamter Buchinhalt ohne Beschränkung, siehe Buchtitel
  8. AStA Heidelberg und Sozialistischer Heidelberger Studentenbund (SHS) (Hrsg.): Dokumentation zur Verfolgung des Sozialistischen Patientenkollektivs. Teil 1 und Teil 2; 73 Seiten (Teil 1) und 172 Seiten (Teil 2), 1972 mit Pressespiegel bis 22.08.1971 (Teil 1) bzw. bis 20.04.1972 (Teil 2); Bezug: Teil 1, Seite 2 (Richter-Gutachten 14.07.1970)
  9. 9,0 9,1 Shorter, Edward A historical Dictionary of Psychiatry. Oxford University Press, New York, 12005, ISBN 0-19-517668-5; (-,0) zu Stw. „Politik“: Seite 127, 24; (-,1) zu Stw. „Antipsychiatrie“: Seite 22-26, insbesondere Seite 24; fernladbarer Text
  10. Spazier, Dieter "Der Tod des Psychiaters" Syndikat-Verlag, Frankfurt m Main, 236 Seiten; fernladbare Buchbesprechung, Spiegel 13/1983 vom 28.03.1983
  11. Peters, Uwe Henrik: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 3. Auflage 1984, Seite 434
  12. 12,0 12,1 Wulff, Erich: Grundfragen der transkulturellen Psychiatrie. In: Psychiatrie und Klassengesellschaft. Athenäum Fischer Taschenbuchverlag, Sozialwissenschaften, Frankfurt / M, 1972, ISBN 3-8072-4005-5, (-,0) Anmerkung: Das unter (-,0) angesprochene Kapitel ›Probleme der Krankenversorgung und Klinik‹ und das ihm als erstes vorangestellte Unterkapitel ›Der Arzt und das Geld‹ zeigt bereits eine dem Thema eigene dialektische Widersprüchlichkeit. Jeder Arzt bekanntlich, der einen Patienten heilt, handelt in einem gewissen Sinne gegen seine eigenen wirtschaftlichen Interessen; (-,1) zu Stw. „Regelkreise“ Seiten 130, 169 ff.
  13. 13,0 13,1 Freedman, A.M., H.I. Kaplan et al. (Hrsg.): Psychiatrie in Praxis und Klinik. 7 Bände; Georg Thieme Stuttgart 1991, Psychiatrische Probleme der Gegenwart I. Band 5, Begegnungen zwischen Psychiatrie und Politik, Seite 277 (Autor des Kap. ist Bertram S. Brown, Direktor des National Institute of Mental Health von 1970–1977)
  14. z. B. Deutsche Vereinigng gegen politischen Mißbrauch der Psychiatrie e. V., Amnesty international
  15. Jervis, Giovanni Kritisches Handbuch der Psychiatrie. Syndikat, Autoren- und Verlagsgesellschaft, Frankfurt © 1978 Fuldaer Verlagsanstalt,31980, ISBN 3-8108-0167-4 kart., Seite 100 ff.
  16. Devereux, Georges: Normal und anormal – Aufsätze zur allgemeinen Ethnopsychiatrie. Suhrkamp, Frankfurt 11974, ISBN 3-518-06390-1, Seite 19 f.
  17. Mentzos, Stavros: Neurotische Konfliktverarbeitung; Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler Verlag, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-42239-6, Seiten 50, 256, 259, 265, Stw. institutionelle Abwehr
  18. Siegrist, Johannes: Lehrbuch der Medizinischen Soziologie. Urban & Schwarzenberg, München 3 1977, ISBN 3-541-06383-1, Seite 6, 15, 27, 30, 39, 147, 198, 224
  19. Horn, K.: Bemerkungen zur politischen Konsequenz des Psychologismus psychologischer Denkmodelle und Vorschläge zu dessen Überwindung. In: Wulf, Christoph (Hrsg.): Kritische Friedenserziehung. edition suhrkamp stw 661, Frankfurt / M. 1973, ISBN 3-518-00661-4, Sachgebiet Sozialwissenschaft
  20. Brückner, Peter und A. Krovoza: Staatsfeinde. Innerstaatliche Feinderklärung in der BRD. Berlin 1972.
  21. Jervis, Giovanni: Manuale critico di psiciatria. © Giangiacomo Feltrinelli Editore, Milano 1975. dt.: Kritisches Handbuch der Psychiatrie. Athenäum, Frankfurt / M 1988, ISBN 3-610-04604-X, Seite 46.
  22. Illich, Ivan: Die Enteignung der Gesundheit. Medical Nemesis oder: Die Medizin ist zu einer Hauptgefahr für die Gesundheit geworden. Rohwohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1975, ISBN 3-498-03202-X, Abhängigkeit von Medikamenten, Seite 41
  23. Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität. dva, Stuttgart, 31977, ISBN 3-421-01686-0, Seiten 251 ff. (Josef Stalin), 271 ff. (Heinrich Himmler), 335 ff. (Adolf Hitler)

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