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Die Einteilung der Menschen Afrikas in „Stämme“

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Die Einteilung der Menschen Afrikas in „Stämme“ beruht auf einer eurozentrischen Sichtweise. Diese Einteilung ist nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr haltbar. Der Begriff des „Stammes“ wurde als kolonialistisches und rassistisches Konstrukt demaskiert. Die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents wurde vom Westen jahrhundertelang in „Stämme“ eingeteilt.

Geschichte

Die im 19. Jahrhundert nach Afrika eindringenden europäischen Kolonialmächte teilten die Bevölkerung des Kontinents schon bald in „Volksstämme“ ein. Der ideologisch motivierte Begriff - im Englischen „tribe“ und im Französischen „tribu“ - sollte einen Unterschied zwischen modernen, westlichen Gesellschaften und den kolonialisierten Gesellschaften Afrikas ausweisen, wobei letzteren Primitivität und entwicklungsgeschichtlicher Rückstand unterstellt wurde.

Der Einteilung lag der Gedanke zugrunde, dass Afrika aus isolierten Gemeinschaften bestehen würde, die sich nur an ihren Rändern berührten und kaum gegenseitig beeinflussten. In Wirklichkeit sind die Gesellschaften Afrikas aber zu vielgestaltig, um sich mit einer einfachen Einteilung in „Stämme“ erfassen zu lassen. Und sie waren weniger isoliert als die Kolonialherren meinten. Die Identitäten der Menschen waren keineswegs so fest, wie die koloniale Verwaltung sie wollte. Die Staatsgrenzen dagegen entstanden oft in Auseinandersetzungen zwischen den Kolonialmächten ohne Rücksicht auf kulturelle und sprachliche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten der einheimischen Bevölkerung.

Viele „Stämme“ wurden erst durch die Kolonialmächte selber „erschaffen“. Oft erfanden die jeweiligen Kolonialherren ethnische Namen und machten sie zu einem Merkmal der von ihnen Beherrschten. Manchmal griffen sie dabei falsch verstandene lokale Begriffe auf oder übernahmen Fremdbezeichnungen. Ein Beispiel dafür ist die Bezeichnung Yoruba für eine Menschengruppe aus Nigeria. Dieses Wort war eine Bezeichnung, welche Hausa-Händler aus dem Norden des Landes ihren Gastgebern im Südwesten der entstehenden Kolonie gegeben hatten.

Durch die koloniale Verwaltungspraxis entstanden Situationen, die im Laufe der Zeit von den Betroffenen oft hingenommen wurden und sich verhärteten. Dies hatte weitreichende Folgen, zum Beispiel durch die Einteilung nach sozialen Gruppen bzw. der Herkunft: die Tutsi waren Nomaden und Viehzüchter, die Hutu Feldbauern und die Twa eine untere gesellschaftliche Schicht in Burundi und Ruanda. Diese Einteilung wurde in die Identitätspapiere übernommen. Die Tutsi übernahmen die Sprache (Kinyarwanda) und Kultur der Hutu, waren aber eine Minderheit und wurden später Opfer des Völkermord in Ruanda 1994.[1] Die Einteilung in „Stämme“ war immer auch ein koloniales Unterdückungsinstrument, weil man z.B. die einzelnen „Stämme“ gegeneinander ausspielen konnte. Daneben gab es den „Stamm“ als romantische, mythenbehaftete Vorstellung vom „edlen Wilden“ in der Wunschvorstellung des westlichen Menschen.

Für die weitere Entwicklung der afrikanischen Staaten sind die Folgen nicht absehbar, zumal viele tradionelle Strukturen entweder zerschlagen oder schwer wieder herzustellen sind. So förderten die Kirchen in ihren Missionsschulen die einzelnen Gruppen sehr unterschiedlich. Nach dem Ende der Kolonialzeit im 20. Jahrhundert radikalisierten sich einzelne Gruppen und es kommt bis heute immer wieder zu Umstürzen einer Regierung und zu Massakern.

Wissenschaftliche Betrachtung

Ab den 1970er-Jahren hat die westliche Wissenschaft den Begriff des „Stammes“ vermehrt kritisch hinterfragt. Der Anthropologe Michael Olen merkte beispielsweise an, dass „der Begriff Stamm Anthropologen wegen seiner vielen Verwendungsweisen und Konnotationen nie zufriedengestellt habe“. Als „Stammesgesellschaften klassifizierte Gesellschaften“ seien „in ihrer Organisation sehr vielfältig“ und hätten „wenige gemeinsame Merkmale“. Morton H. Fried erachtete den Begriff des „Stammes“ als „so zweideutig und verwirrend, dass Sozialwissenschaftler ihn vermeiden sollten“. Der Begriff des „Stammes“ verschwand aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs, während er bis heute weiterhin häufig in den Medien in seiner alten, vorurteilsbehafteten Bedeutung als griffige Erklärung für alle Arten von Strukturproblemen in Afrika verwendet wird. Dabei wird die Beobachtung ignoriert, dass aus den verschiedenen Stämmen ein Volk mit eigener Identität entstehen kann. Von Afrikanern wird der Begriff „Stamm“ als eurozentrisch und rassistisch diskriminierend abgelehnt. Susan Arndt kritisiert, dass mit dem Begriff „Stamm“ die „Diversität von Gesellschaften in Afrika negiert“ werde. Außerdem werde mit dem Begriff suggeriert, als „ließen sich klare geographische und kulturelle Grenzen zwischen einzelnen afrikanischen Gesellschaften ziehen“.[2] Dennoch wird das überholte Narrativ des „Stammes“ in den Medien, dem Schulunterricht und im Alltagsdeutsch bis ins 21. Jahrhundert hinein immer noch verwendet.[3] So schrieb Walter Sauer, dass die Stammesterminologie „für erklärende Zwecke in Wissenschaft wie im Unterricht wegen Untauglichkeit keine Verwendung mehr finden“ sollte. Die „Beharrlichkeit, mit der in den untersuchten GuS-Büchern bei der Behandlung der Geschichte Afrikas immer noch von 'Naturvölkern' oder 'Stämmen' die Rede ist oder sogar rassisch diskriminierende Begriffe wie '„Buschmänner“' oder '„Neger“' Verwendung finden, zeigt zugleich die hartnäckige Weiterexistenz des kolonialen Unvermögens (oder Unwillens) an, afrikanische Gesellschaften - ja menschliche Gesellschaft überhaupt - wissenschaftlich zu begreifen.“

Weblinks

Literatur

  • Barbara Wagner und Matthias Winzen: Afrika mit eigenen Augen / Vom Erforschen und Erträumen eines Kontinents, Verlag Athena, 2012
  • Roy Richard Grinker, Stephen C. Lubkemann und Christopher Steiner: Perspectives on Africa / A Reader in Culture, History and Representation, Blackwell Publishing, 2010
  • Leonhard Harding: Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert, R. Oldenbourg Verlag, München 1999
  • Wolfgang Kraus: Islamische Stammesgesellschaften / Tribale Identitäten im Vorderen Orient in sozialanthropologischer Perspektive, Böhlau Verlag, 2004
  • J. Lonsdale: Ethnicité, morale et tribalisme politique, Politique Africaine, 61, Seite 98 - 115
  • David Wiley: Using “Tribe” and “Tribalism” to misunderstand African Societies, Department of Sociology and African Studies Center der Michigan State University, 2013

Einzelnachweise

  1. Ruanda vor 25 Jahren - Der angekündigte Völkermord, Spiegel Online, 4. April 2019
  2. Susan Arndt: Kritische Betrachtungen der deutschen Afrikaterminologie, Bundeszentrale für politische Bildung
  3. Susan Arndt: Mythen von Afrika. ,Rasse‘ und Rassismus in der deutschen Afrikaterminologie, (PDF, 856 kB), Aptum - Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, 2. Jahrgang, 2006, Heft 3, Seite 257-274

Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Die Einteilung der Menschen Afrikas in „Stämme“) vermutlich nicht.