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Gestützte Kommunikation: Unterschied zwischen den Versionen
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'''Gestützte Kommunikation''' (gelegentlich auch: ''Gestütztes Schreiben'') ist die deutschsprachige Entsprechung des englischsprachigen Fachbegriffs '''Facilitated Communication''' (kurz: ''FC''). Ein Kommunikationshelfer, der sogenannte Stützer, berührt eine kommunikationsbeeinträchtigte Person. Diese wird auch ''Schreiber'' oder ''Nutzer'' genannt. Diese körperliche Hilfestellung soll es der beeinträchtigten Person ermöglichen, eine Kommunikationshilfe zu bedienen. Die Gestützte [[Kommunikation]] | '''Gestützte Kommunikation''' (gelegentlich auch: ''Gestütztes Schreiben'') ist die deutschsprachige Entsprechung des englischsprachigen Fachbegriffs '''Facilitated Communication''' (kurz: ''FC''). FC ist eine evidenzbasierte Methode, die Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen dabei unterstützt, sich auszudrücken. Sie wurde in den 1970er Jahren in Australien entwickelt und hat sich seitdem weltweit verbreitet. Die Methode basiert auf der Annahme, dass viele Menschen, die nicht verbal kommunizieren können, dennoch das Potenzial haben, sich auf andere Weise auszudrücken, wenn sie die richtige Unterstützung erhalten.[1]Ein Kommunikationshelfer, der sogenannte Stützer, berührt eine kommunikationsbeeinträchtigte Person. Diese wird auch ''Schreiber'' oder ''Nutzer'' genannt. Diese körperliche Hilfestellung soll es der beeinträchtigten Person ermöglichen, eine Kommunikationshilfe zu bedienen. Die Gestützte [[Kommunikation]] ist Teil der [[Unterstützte Kommunikation|Unterstützten Kommunikation]] – ein Fachgebiet, ein Fachgebiet, das sich mit alternativen und ergänzenden Kommunikationsformen für Menschen beschäftigt, die nicht oder nur unzureichend über Lautsprache verfügen. | ||
== Entwicklung und Technik == | == Entwicklung und Technik == | ||
In ihrer heutigen Form wurde die gestützte Kommunikation Ende der 1970er Jahre von der Australierin [[Rosemary Crossley]] entwickelt, die einen Weg zur Kommunikation mit einer jungen [[Cerebralparese|cerebralparetischen]] Frau suchte. Später wurde die Methode auch bei Menschen mit [[Autismus]] und [[Down-Syndrom]] angewandt, heutzutage geschieht dies unabhängig von der medizinischen Diagnose allgemein bei Personen mit einer | In ihrer heutigen Form wurde die gestützte Kommunikation Ende der 1970er Jahre von der Australierin [[Rosemary Crossley]] entwickelt, die einen Weg zur Kommunikation mit einer jungen [[Cerebralparese|cerebralparetischen]] Frau suchte. Später wurde die Methode auch bei Menschen mit [[Autismus]] und [[Down-Syndrom]] angewandt, heutzutage geschieht dies unabhängig von der medizinischen Diagnose allgemein bei Personen mit einer komplexen Kommunikationsbeeinträchtigung.<ref>{{Webarchiv|text=Sozialministerium Bayern: Gestützte Kommunikation (PDF) |url=http://www.sozialministerium.bayern.de/behinderte/kinder/gestkomm.pdf |wayback=20070315194218}}</ref>Andere alternative Kommunikationsformen wie z. b. die Gebärdensprache sind bei ihnen nicht möglich, da entweder eine cerebrale Bewegungsstörung oder eine sensorische Integrationsstörung vorliegt. | ||
Personen, die ihren Körper nicht oder nur unzureichend spüren, können diesen nicht zielgerichtet nutzen. Die Stütze ermöglicht den Menschen, ihren Arm wahrzunehmen und somit auf einer Buchstabentafel oder aber bei Fehlen von Schriftsprache auf Symbole zu zeigen. Letztlich ermöglicht die Stütze die Verbindung des Gehirns mit dem Körper, so dass der Schreiber seinen Arm willentlich bewegen kann. [4] | |||
== Körperwahrnehmung, Sprache und Bewegung == | |||
Der Zusammenhang zwischen der Körperwahrnehmung mittels Berührung, Bewegung, der Sprache, der Konzentration und Sicherheit bzw. Angst/Stress bei fehlender Körperwahrnehmung ist in der Wissenschaft seit langem bekannt. Bahnbrechend waren die empirischen Studien des kanadischen Mediziner Donald Hebb. Seine Forschungen zur „Sensorische Deprivation “ Anfang der 1950er Jahre zeigten, welche tiefgreifenden Veränderungen in der Psyche eines Menschen vorgehen, wenn der eigene Körper zu wenig gespürt wird. Hepp ließ seine Probanden (studentische Freiwillige) einen mehrtägigen Aufenthalt in abgeschlossenen Räumen verbringen und schränkte die Möglichkeit ein sich selbst zu berühren. Außerdem schränkte er auch alle anderen Sinneswahrnehmungen ein. Es gab keine Geräusche und keine visuelle Abwechslung. Dies führte zu Halluzinationen und Angstzustände (vgl. Lausch , 1972, insbes. Kapitel 17, S. 185-196). | |||
Auch die Erkenntnis, dass beim Menschen zwei unterschiedliche Gehirnareale beim Sprechen beteiligt sind, ist von großer Bedeutung. Die Tatsache, dass das Sprachverstehen und kognitive Fähigkeiten beim Menschen vorhanden sein können, auch wenn er zu lautsprachlichen Äußerungen nicht fähig ist, findet hier seine Erklärungen. Es handelt sich um das Broca-Areal und das Wernicke-Areal. Das Broca-Areal wurde erstmals 1861 von dem französischen Neurologen und Anthropologen Paul Broca beschrieben. „Das Broca-Zentrum liegt in der unteren Stirnwindung und dient der Kontrolle und Steuerung beim Sprechen, einschließlich der dazu notwendigen Muskelbewegungen von Zunge, Lippen, Atemmuskeln und Kehlkopfbewegung.“ (Sprachzentrum - Funktion, Aufbau & Beschwerden | Gesundpedia.de, aufgerufen am 8.9.2024). Es dient also der Sprachproduktion. „Das sensorische Wernicke-Zentrum wiederum, das auch das Spracherinnerungszentrum ist, liegt im Schläfenlappen und ermöglicht die Aufnahme und das Erkennen des akustischen Sprachverständnisses, kann also gehörte Wörter und Klänge zuordnen, verarbeiten und versteh“ (ebd.). Daraus erklärt sich das Phänomen, dass es Menschen gibt, die der Lautsprache nicht mächtig sind, aber Sprache verstehen. Es liegt dann keine Störung im Wernicke-Zentrum vor, sondern eine Störung im Broca-Areal bzw. in der Zusammenarbeit des Broca-Areals mit tieferliegenden Gehirnstrukturen (vgl. die Theorie der funktionellen Systeme nach A. R. Lurija: Lurija 1998 ). | |||
Auch Affolter hat dazu geforscht. Sie hat die Gespürte Interaktionstherapie oder das Affolter-Modell® entwickelt. Affolter und ihr Team beschreiben viele Beispiele bei Kindern mit Sprachstörungen, bei denen durch die Berührung Menschen in die Bewegung kommen und die Konzentration verbessert wird: | |||
„Von B., einem 12–jährigen, sprachgestörten Jungen, wird oft gesagt, er wisse, was zu tun sei, aber schlecht motiviert sei. Nun wird er gebeten, einen Bananen-Milchshake zuzubereiten. An einem Tisch sitzend, schneidet er die Bananen und öffnet den Milchkarton. Als nächstes braucht er eine Schüssel zum Mixen. Die Schüssel ist in einem Schrank auf der anderen Seite des Raumes. B. schaut die Bananen und die Milch an und sagt: ‚Man braucht Schüssel‘, aber er steht nicht auf und geht nicht durch den Raum hindurch zum Schrank. Der Therapeut geht auf B. zu, um ihm zu helfen, den Stuhl wegzuschieben, damit er aufstehen kann. Aber B. bewegt sich noch immer nicht. Ist B. nicht motiviert? Er weiß welches Problem gelöst werden muss. Er selbst hat das Problem ausgedrückt: Er braucht eine Schüssel. | |||
Der Therapeut denkt über die Situation nach. Dann nimmt der Therapeut den Milchkarton, gibt ihn B. in die Hände, so dass B. ihn spüren kann. Er hilft B. aufzustehen. Damit beginnt er mit B. die Handlung. B. fährt mit der Handlung weiter, schiebt den Stuhl zurück, geht mit dem Milchkarton in den Händen durch den Raum und holt die Schüssel« (Affolter & Bischofberger, 2007, S. 61). | |||
Die Fähigkeit in Bewegung zu kommen, hier um eine Tätigkeit auszuüben, beim FC, um auf eine Buchstabentafel zu zeigen kann also durch Berührung ermöglicht werden. Das Wissen, was zu tun ist, und die visuelle Wahrnehmung reichen nicht aus, um eine geordnete Bewegung auszuführen. Es braucht die doppelte Sinneswahrnehmung, neben dem Sehen der Schüssel auch die Wahrnehmung der eigenen Leiblichkeit, die durch Berühren und Bewegen verstärkt werden kann. Menschen mit Sensorischer Integrationsstörung wird oft unterstellt, sie wollen nicht oder sie können nicht. Oft genügt eine kurze Berührung und sie kommen in die Tätigkeit. | |||
Menschen, die einen Stütze benötigen, haben das Problem, dass ihr Körper Handlungen vornimmt, die sie nicht wollen und umgekehrt. Es bedeutet oft äußerste Konzentration, damit der Mensch seinen Körper so steuern kann, wie er es möchte. Beim Schreiben ist dies umso schwieriger, da gezielt auf einzelne Buchstaben oder Symbole gezeigt werden und gleichzeitig darüber der Inhalt der Äußerung wiedergegeben werden soll. | |||
Bei der gestützten Kommunikation ist die alternative Kommunikationsform fast immer die [[Geschriebene Sprache|Schriftsprache]]. In Einzelfällen werden auch alternative Symbolsysteme benutzt, beispielsweise Piktogramme. Die jeweiligen Symbole werden dabei entweder auf einer Kommunikationstafel bereitgestellt oder auf einer Schreibmaschine, einem Computer oder einem Sprachausgabegerät. | Bei der gestützten Kommunikation ist die alternative Kommunikationsform fast immer die [[Geschriebene Sprache|Schriftsprache]]. In Einzelfällen werden auch alternative Symbolsysteme benutzt, beispielsweise Piktogramme. Die jeweiligen Symbole werden dabei entweder auf einer Kommunikationstafel bereitgestellt oder auf einer Schreibmaschine, einem Computer oder einem Sprachausgabegerät. |
Version vom 12. Oktober 2024, 17:33 Uhr
Gestützte Kommunikation (gelegentlich auch: Gestütztes Schreiben) ist die deutschsprachige Entsprechung des englischsprachigen Fachbegriffs Facilitated Communication (kurz: FC). FC ist eine evidenzbasierte Methode, die Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen dabei unterstützt, sich auszudrücken. Sie wurde in den 1970er Jahren in Australien entwickelt und hat sich seitdem weltweit verbreitet. Die Methode basiert auf der Annahme, dass viele Menschen, die nicht verbal kommunizieren können, dennoch das Potenzial haben, sich auf andere Weise auszudrücken, wenn sie die richtige Unterstützung erhalten.[1]Ein Kommunikationshelfer, der sogenannte Stützer, berührt eine kommunikationsbeeinträchtigte Person. Diese wird auch Schreiber oder Nutzer genannt. Diese körperliche Hilfestellung soll es der beeinträchtigten Person ermöglichen, eine Kommunikationshilfe zu bedienen. Die Gestützte Kommunikation ist Teil der Unterstützten Kommunikation – ein Fachgebiet, ein Fachgebiet, das sich mit alternativen und ergänzenden Kommunikationsformen für Menschen beschäftigt, die nicht oder nur unzureichend über Lautsprache verfügen.
Entwicklung und Technik
In ihrer heutigen Form wurde die gestützte Kommunikation Ende der 1970er Jahre von der Australierin Rosemary Crossley entwickelt, die einen Weg zur Kommunikation mit einer jungen cerebralparetischen Frau suchte. Später wurde die Methode auch bei Menschen mit Autismus und Down-Syndrom angewandt, heutzutage geschieht dies unabhängig von der medizinischen Diagnose allgemein bei Personen mit einer komplexen Kommunikationsbeeinträchtigung.[1]Andere alternative Kommunikationsformen wie z. b. die Gebärdensprache sind bei ihnen nicht möglich, da entweder eine cerebrale Bewegungsstörung oder eine sensorische Integrationsstörung vorliegt.
Personen, die ihren Körper nicht oder nur unzureichend spüren, können diesen nicht zielgerichtet nutzen. Die Stütze ermöglicht den Menschen, ihren Arm wahrzunehmen und somit auf einer Buchstabentafel oder aber bei Fehlen von Schriftsprache auf Symbole zu zeigen. Letztlich ermöglicht die Stütze die Verbindung des Gehirns mit dem Körper, so dass der Schreiber seinen Arm willentlich bewegen kann. [4]
Körperwahrnehmung, Sprache und Bewegung
Der Zusammenhang zwischen der Körperwahrnehmung mittels Berührung, Bewegung, der Sprache, der Konzentration und Sicherheit bzw. Angst/Stress bei fehlender Körperwahrnehmung ist in der Wissenschaft seit langem bekannt. Bahnbrechend waren die empirischen Studien des kanadischen Mediziner Donald Hebb. Seine Forschungen zur „Sensorische Deprivation “ Anfang der 1950er Jahre zeigten, welche tiefgreifenden Veränderungen in der Psyche eines Menschen vorgehen, wenn der eigene Körper zu wenig gespürt wird. Hepp ließ seine Probanden (studentische Freiwillige) einen mehrtägigen Aufenthalt in abgeschlossenen Räumen verbringen und schränkte die Möglichkeit ein sich selbst zu berühren. Außerdem schränkte er auch alle anderen Sinneswahrnehmungen ein. Es gab keine Geräusche und keine visuelle Abwechslung. Dies führte zu Halluzinationen und Angstzustände (vgl. Lausch , 1972, insbes. Kapitel 17, S. 185-196). Auch die Erkenntnis, dass beim Menschen zwei unterschiedliche Gehirnareale beim Sprechen beteiligt sind, ist von großer Bedeutung. Die Tatsache, dass das Sprachverstehen und kognitive Fähigkeiten beim Menschen vorhanden sein können, auch wenn er zu lautsprachlichen Äußerungen nicht fähig ist, findet hier seine Erklärungen. Es handelt sich um das Broca-Areal und das Wernicke-Areal. Das Broca-Areal wurde erstmals 1861 von dem französischen Neurologen und Anthropologen Paul Broca beschrieben. „Das Broca-Zentrum liegt in der unteren Stirnwindung und dient der Kontrolle und Steuerung beim Sprechen, einschließlich der dazu notwendigen Muskelbewegungen von Zunge, Lippen, Atemmuskeln und Kehlkopfbewegung.“ (Sprachzentrum - Funktion, Aufbau & Beschwerden | Gesundpedia.de, aufgerufen am 8.9.2024). Es dient also der Sprachproduktion. „Das sensorische Wernicke-Zentrum wiederum, das auch das Spracherinnerungszentrum ist, liegt im Schläfenlappen und ermöglicht die Aufnahme und das Erkennen des akustischen Sprachverständnisses, kann also gehörte Wörter und Klänge zuordnen, verarbeiten und versteh“ (ebd.). Daraus erklärt sich das Phänomen, dass es Menschen gibt, die der Lautsprache nicht mächtig sind, aber Sprache verstehen. Es liegt dann keine Störung im Wernicke-Zentrum vor, sondern eine Störung im Broca-Areal bzw. in der Zusammenarbeit des Broca-Areals mit tieferliegenden Gehirnstrukturen (vgl. die Theorie der funktionellen Systeme nach A. R. Lurija: Lurija 1998 ). Auch Affolter hat dazu geforscht. Sie hat die Gespürte Interaktionstherapie oder das Affolter-Modell® entwickelt. Affolter und ihr Team beschreiben viele Beispiele bei Kindern mit Sprachstörungen, bei denen durch die Berührung Menschen in die Bewegung kommen und die Konzentration verbessert wird: „Von B., einem 12–jährigen, sprachgestörten Jungen, wird oft gesagt, er wisse, was zu tun sei, aber schlecht motiviert sei. Nun wird er gebeten, einen Bananen-Milchshake zuzubereiten. An einem Tisch sitzend, schneidet er die Bananen und öffnet den Milchkarton. Als nächstes braucht er eine Schüssel zum Mixen. Die Schüssel ist in einem Schrank auf der anderen Seite des Raumes. B. schaut die Bananen und die Milch an und sagt: ‚Man braucht Schüssel‘, aber er steht nicht auf und geht nicht durch den Raum hindurch zum Schrank. Der Therapeut geht auf B. zu, um ihm zu helfen, den Stuhl wegzuschieben, damit er aufstehen kann. Aber B. bewegt sich noch immer nicht. Ist B. nicht motiviert? Er weiß welches Problem gelöst werden muss. Er selbst hat das Problem ausgedrückt: Er braucht eine Schüssel. Der Therapeut denkt über die Situation nach. Dann nimmt der Therapeut den Milchkarton, gibt ihn B. in die Hände, so dass B. ihn spüren kann. Er hilft B. aufzustehen. Damit beginnt er mit B. die Handlung. B. fährt mit der Handlung weiter, schiebt den Stuhl zurück, geht mit dem Milchkarton in den Händen durch den Raum und holt die Schüssel« (Affolter & Bischofberger, 2007, S. 61). Die Fähigkeit in Bewegung zu kommen, hier um eine Tätigkeit auszuüben, beim FC, um auf eine Buchstabentafel zu zeigen kann also durch Berührung ermöglicht werden. Das Wissen, was zu tun ist, und die visuelle Wahrnehmung reichen nicht aus, um eine geordnete Bewegung auszuführen. Es braucht die doppelte Sinneswahrnehmung, neben dem Sehen der Schüssel auch die Wahrnehmung der eigenen Leiblichkeit, die durch Berühren und Bewegen verstärkt werden kann. Menschen mit Sensorischer Integrationsstörung wird oft unterstellt, sie wollen nicht oder sie können nicht. Oft genügt eine kurze Berührung und sie kommen in die Tätigkeit.
Menschen, die einen Stütze benötigen, haben das Problem, dass ihr Körper Handlungen vornimmt, die sie nicht wollen und umgekehrt. Es bedeutet oft äußerste Konzentration, damit der Mensch seinen Körper so steuern kann, wie er es möchte. Beim Schreiben ist dies umso schwieriger, da gezielt auf einzelne Buchstaben oder Symbole gezeigt werden und gleichzeitig darüber der Inhalt der Äußerung wiedergegeben werden soll.
Bei der gestützten Kommunikation ist die alternative Kommunikationsform fast immer die Schriftsprache. In Einzelfällen werden auch alternative Symbolsysteme benutzt, beispielsweise Piktogramme. Die jeweiligen Symbole werden dabei entweder auf einer Kommunikationstafel bereitgestellt oder auf einer Schreibmaschine, einem Computer oder einem Sprachausgabegerät.
Das Besondere bei der gestützten Kommunikation ist, dass die Symbole von der kommunikationsbeeinträchtigten Person (Schreiber oder Nutzer genannt) unter Hilfestellung einer zweiten Person, des sogenannten Stützers, angesteuert werden. Der Stützer soll dem Schreiber das Zeigen auf die Buchstaben bzw. das Tippen auf der Tastatur erleichtern, indem er die Hand oder einen anderen Körperteil des Schreibers berührt, leichten Gegendruck ausübt, die Auswahl offensichtlich falscher Tasten verhindert und ähnliche körperliche Hilfestellungen gibt. Hierbei gilt das Prinzip der Minimalstützung. Um eine unabhängige Kommunikation zu ermöglichen, wird es als wichtig erachtet, die physische Stütze von Hand bis Schulter immer weiter zurückzunehmen und diese letztlich ganz auszublenden.
Weitere Komponenten der Methode sind die begleitende emotionale und verbale Unterstützung. Der Schreiber wird ermutigt und erfährt Wertschätzung, seine Äußerungen werden verbalisiert und ihm dadurch rückgemeldet. Diese Komponenten sind allerdings nicht spezifisch für die Methode FC, vielmehr sind sie Merkmal fast aller Methoden der unterstützten Kommunikation.
Spezifisch für die gestützte Kommunikation ist auch nicht der Körperkontakt an sich, sondern
- dass der Körperkontakt nicht direkt nach der Anbahnungsphase vollständig ausgeblendet wird und
- dass auch bei den in Körperkontakt entstandenen Mitteilungen die Autorschaft dem Nutzer zugeschrieben wird. Der Stützer versteht sich lediglich als Katalysator bei der Umsetzung von Gedanken des Schreibers in Tippbewegungen; die Stütze gilt als „krankengymnastische Hilfestellung“.[2]
Nach den Annahmen der Befürworter der gestützten Kommunikation fördert die gestützte Kommunikation bis dahin unentdeckte, aber bereits vorhandene kognitive und kommunikative Fähigkeiten zutage. Angenommen wird, dass die Schreiber nur deswegen nicht ungestützt auf Symbole zeigten, weil die entsprechende motorische Umsetzung misslang, also eine Apraxie vorlag. Anderen Autoren zufolge kompensiert die Stütze keine motorischen oder neuromotorischen Defizite, sondern solche der Aufmerksamkeitssteuerung und der sozialen Orientierung.[3] Beiden Erklärungsmodellen gemein ist die Annahme, die Stütze kompensiere Performanzprobleme bei grundsätzlich intakter kognitiver und sprachlicher Kompetenz.
Wissenschaftlicher Status
Trotz häufigen Einsatzes der Methode in der Praxis wird die Gestützte Kommunikation in Wissenschaft und Fachkreisen als unwirksam und in manchen Fällen sogar als schädlich abgelehnt.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Hilfsperson dem FC-Nutzer – unbewusst und unbeabsichtigt – zeigt, welche Tasten gedrückt werden müssen, womit die Hilfsperson selbst Urheber des entstehenden Textes ist.[4] Im Experiment von Wheeler und Kollegen (1993) wurden den Stützern und den Gestützten unterschiedliche Bilder von Gegenständen gezeigt, die die Gestützten benennen sollten. Die gestützten Probanden tippten jedoch nie den Namen des Gegenstandes ein, den sie selbst gesehen hatten, sondern entweder andere Wörter oder den Namen des Gegenstands, den nur der Stützer gesehen hatte.[5] In einem anderen experimentellen Paradigma wurde den FC-Klienten in Abwesenheit des Unterstützers eine Information gegeben. Sie waren unfähig, diese Information per gestützter Kommunikation weiterzugeben.[6]
Gestützte Kommunikation kann als Ausprägung des Kluger-Hans-Effekts bzw. des Carpenter- gesehen werden, auf dem das spiritistische Ouija beruht.[7] Vertreter der gestützten Kommunikation räumten zwar ein, dass ein Teil der entstandenen schriftlichen Ergebnisse möglicherweise auf einem „Ouija-Effekt“ beruhe, behaupteten jedoch, dies könne durch verbessertes Training der Stützer verhindert werden.[8]
Ab den 1990er Jahren wurde die Frage nach der Autorenschaft der mit der Gestützten Kommunikation produzierten Texte von verschiedenen Forschungsgruppen untersucht. Nach einer Vergleichsuntersuchung von Biermann (1999) über sämtliche 44 bis dahin publizierten Studien konnten ca. 80 % der untersuchten FC-Schreiber keinerlei authentische Kommunikation produzieren, hingegen war bei 77 % der untersuchten Schreiber Stützereinfluss nachweisbar.
Bei den 20 % der FC-Schreiber, die zumindest eine authentische Kommunikation produzierten, entsprach allerdings das Niveau der FC-Kommunikation in der Regel dem der Kommunikation ohne Stütze. In manchen Fällen war das Niveau auch niedriger, sodass also mit gestützter Kommunikation zwar Informationen übertragen werden konnten, wobei diese auch ohne Hilfe genauso gut oder gar besser hätten übertragen werden können. Die einzige Studie, die unter kontrollierten Bedingungen der gestützten Kommunikation eine Verbesserung der Kommunikation bestätigte,[9] ist aufgrund methodischer Mängel nur mit Vorbehalt repräsentativ.[10]
Es gibt Fälle von schädlichen Anwendungen der FC. In den USA ist die gestützte Kommunikation unter anderem deshalb besonders in Misskredit geraten, weil durch die FC Familienangehörige oder Betreuer fälschlich des sexuellen Missbrauchs gegenüber FC-Nutzern beschuldigt wurden.
Dokumentationen
- Meine Denksprache. Menschen, die nicht reden können, finden Worte. Dokumentarfilm zur gestützten Kommunikation von Pascale Gmür und Otmar Schmid, Schweiz 2005 (57 Min.).[11]
Siehe auch
Literatur
- Biermann, Adrienne: Gestützte Kommunikation im Widerstreit. Berlin: Edition Marhold 1999.
- Biklen, Douglas: Communication Unbound: How Facilitated Communication is Challenging Traditional Views of Autism and Ability/Disability. New York: Teachers College Press 1993, ISBN 0-8077-3221-4.
- Bundschuh, Konrad/Basler-Eggen, Andrea: Gestützte Kommunikation (FC) bei Menschen mit schweren Kommunikationsbeeinträchtigungen. München: Ludwig-Maximilians-Universität 2000 (PDF).
- Crossley, Rosemary: Gestützte Kommunikation: Ein Trainingsprogramm. Weinheim, Basel: Beltz 1997.
- Dillon, Kathleen M.: Facilitated Communication, Autism, and Ouija, in: Skeptical Inquirer 17 (3) 1993, S. 281–287; dt.: Ouija, in: Randow, Gero von (Hrsg.): Der Fremdling im Glas und weitere Anlässe zur Skepsis, entdeckt im „Skeptical Inquirer“, Reinbek: Rowohlt 1996, S. 107–121.
- Donnellan, Anne M./Leary, Martha R.: Movement Differences and Diversity in Autism/Mental Retardation. Madison (WI): DRI Press 1997
- Eichel, Elisabeth: Gestützte Kommunikation bei Menschen mit autistischer Störung. Dortmund: Projekt-Verlag 1996.
- Lang, Monika: Gestützte Kommunikation – Versuch einer Standortbestimmung. In: Geistige Behinderung 2/2003, S. 139–147.
- Klauß, Theo, Janz, F. & Hör, Christiane (2009): Was geschieht bei der ‚Facilitated Communication’? Untersuchung eines umstrittenen Interaktionsprozesses in Sonderpädagogische Förderung 54, S. 72–95.
- Nußbeck, Susanne: Gestützte Kommunikation: Ein Ausdrucksmittel für Menschen mit geistiger Behinderung? Göttingen: Hogrefe 2000.
- Probst, Paul: Gestützte Kommunikation: Eine unerfüllbare Verheißung in Autismus Nr. 56/2003 (PDF; 72 kB).
- Probst, Paul: "Communication unbound – or unfound"? – Ein integratives Literatur-Review zur Wirksamkeit der "Gestützten Kommunikation"("Facilitated Communication") bei nichtsprechenden autistischen und intelligenzgeminderten Personen. In: Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie 53, 2005, S. 93–128 (PDF; 3,6 MB).
- Spitz, Herman H.: Nonconscious Movements. From Mystical Messages To Facilitated Communication. Mahwah (NJ): Lawrence Erlbaum Associates 1997, ISBN 0-8058-2563-0.
- Zöller, Dietmar: Gestützte Kommunikation (FC): Pro und Contra. Berlin: Weidler 2002.
Weblinks
- Institut für Gestützte Kommunikation Schweiz
- Autenrieth, A.: Die Gestützte Kommunikation
- Bampi, M.: Die Methode der gestützten Kommunikation bei Menschen mit autistischer Behinderung
- Risiken beim Einsatz von Gestützter Kommunikation (PDF-Datei; 89 kB)
Einzelnachweise
- ↑ Sozialministerium Bayern: Gestützte Kommunikation (PDF) (Archivversion vom 15. März 2007)
- ↑ Vgl. Bundschuh 1998.
- ↑ Vgl. Klauß, Janz & Hör 2009.
- ↑ Übersicht in: D. M. Wegner, V. A. Fuller und B. Sparrow (2003). Clever hands: Uncontrolled intelligence in facilitated communication. Journal of Personality and Social Psychology, 85, S. 5–19 (PDF; 135 kB) (Archivversion vom 11. April 2014)
- ↑ D. L. Wheeler, J. W. Jacobson, R. A. Paglieri und A. A. Schwartz (1993). An experimental assessment of facilitated communication. Mental Retardation, 31, S. 49–59
- ↑ z. B. Cabay, M. (1994). A controlled evaluation of facilitated communication using open-ended and fill-in questions. Journal of Autism & Developmental Disorders, 24, S. 517–527
- ↑ s. Dillon 1993; Spitz 1997
- ↑ s. Donnellan/Leary 1997; Biklen 1993
- ↑ M. J. Weiss, S. H. Wagner, M. L. Bauman: A validated case study of facilitated communication. In: Mental retardation. Band 34, Nummer 4, August 1996, S. 220–230. PMID 8828341.
- ↑ vgl. z. B. Mostert, Mark P. (2010). "Facilitated Communication and Its Legitimacy - Twenty-first century developments". Exceptionality. 18 (1): 31–41. doi:10.1080/09362830903462524.
- ↑ Lucius Flury: Filmrezension: «Meine Denksprache» – Dokumentarfilm von Pascale Gmür und Otmar Schmid. Menschen, die nicht reden können, finden Worte. In: Curaviva. Nr. 10/2005, S. 13. Abgerufen am 20. Dezember 2023.