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Legenden des Sozialismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Legenden des Sozialismus''' bezeichnen Forscher und Autoren wie z.B. der Politikwissenschaftler Klaus Motschmann <ref>Klaus Motschmann: ''Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie'', Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, ISBN 3-89182-043-7</ref> oder Karl Wilhelm Fricke<ref>Anm.: Fricke ist ein deutscher Publizist und Herausgeber mehrerer Standardwerke über den Widerstand in der DDR.</ref> /Hans Lechner/Uwe Thaysen <ref>Karl Wilhelm Fricke, Hans Lechner und Uwe Thaysen: ''Errungenschaften und Legenden - Runder Tisch,  
Als '''Legenden des Sozialismus''' bezeichnen Forscher und Autoren wie z.B. der Politikwissenschaftler [[Klaus Motschmann]],<ref>Klaus Motschmann: ''Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie'', Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, ISBN 3-89182-043-7</ref> der Publizist Karl Wilhelm Fricke,<ref>Anm.: Fricke ist ein deutscher Publizist und Herausgeber mehrerer Standardwerke über den Widerstand in der DDR.</ref> sowie Hans Lechner und Uwe Thaysen<ref>Karl Wilhelm Fricke, Hans Lechner und Uwe Thaysen: ''Errungenschaften und Legenden - Runder Tisch,  
Willkürherrschaft und Kommandowirtschaft im DDR-Sozialismus'', Verlag Knoth, 1990</ref> <ref>Anm.: Thaysen ist Politikwissenschaftler; [http://www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/Forschungseinrichtungen/zdemo/files/UweThaysen.pdf siehe: Uwe Thaysen: ''Sein Wirken an der Universität Lüneburg'']</ref> bestimmte ihrer Meinung nach anscheinend unausrottbare Behauptungen bzw. Illusionen über den Charakter des [[Sozialismus]] bzw. [[Kommunismus]], die trotz eindeutigen Forschungsergebnissen der Wissenschaft und unzweideutiger, wiederholter katastrophaler historischer Erfahrungen immer noch in weiten Teilen der Bevölkerung für wahr gehalten werden. Aufgrund dieser Legenden werde der Sozialismus auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks trotz seiner Verbrechen und Völkermorde und seiner ''in praxi'' nachgewiesenen und unbestreitbaren ökonomischen Impotenz <ref>Zur der in allen Bereichen der freien Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland unterlegenen Wirtschaftskraft der DDR, ihrer Ineffizienz und Unfähigkeit zur Modernisierung siehe neben vielen anderen Büchern und Aufsätzen z.B. auch Oskar Schwarzer: ''Sozialistische Zentralplanwirtschaft in der SBZ/DDR - Ergebnisse eines ordnungspolitischen Experiments (1945-1989)'', VSWG Beihefte 143, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 1999; hier speziell die Kapitel ''"Indikatoren der Wetbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten - ein Vergleich"'' und ''"Bevölkerung, Arbeitskräftepotential und Investitionen in das Humankapital"'', S. 71 bis 108</ref> immer noch bzw. schon wieder von nicht wenigen, wie z.B. großen Teilen der Partei [[Die Linke]], als ein zukunftsfähiges Alternativmodell zur freien Marktwirtschaft und Demokratie betrachtet und beworben. Zu diesen Legenden bzw. Mythen des Sozialismus gehören:
Willkürherrschaft und Kommandowirtschaft im DDR-Sozialismus'', Verlag Knoth, 1990</ref><ref>Anm.: Thaysen ist Politikwissenschaftler; [http://www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/Forschungseinrichtungen/zdemo/files/UweThaysen.pdf siehe: Uwe Thaysen: ''Sein Wirken an der Universität Lüneburg'']</ref> bestimmte ihrer Meinung nach anscheinend unausrottbare Behauptungen bzw. Illusionen über den Charakter des [[Sozialismus]] bzw. [[Kommunismus]], die trotz eindeutigen Forschungsergebnissen der Wissenschaft und unzweideutiger, wiederholter katastrophaler historischer Erfahrungen immer noch in weiten Teilen der Bevölkerung für wahr gehalten werden. Aufgrund dieser Legenden wird der Sozialismus auch nach dem Zusammenbruch des [[Ostblock]]s trotz seiner Verbrechen und [[Völkermord]]e und seiner ''in praxi'' nachgewiesenen und unbestreitbaren ökonomischen [[Impotenz]] <ref>Zur der in allen Bereichen der freien Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland unterlegenen Wirtschaftskraft der DDR, ihrer Ineffizienz und Unfähigkeit zur Modernisierung siehe neben vielen anderen Büchern und Aufsätzen z.B. auch Oskar Schwarzer: ''Sozialistische Zentralplanwirtschaft in der SBZ/DDR - Ergebnisse eines ordnungspolitischen Experiments (1945-1989)'', VSWG Beihefte 143, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 1999; hier speziell die Kapitel ''"Indikatoren der Wetbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten - ein Vergleich"'' und ''"Bevölkerung, Arbeitskräftepotential und Investitionen in das Humankapital"'', S. 71 bis 108</ref> immer noch bzw. schon wieder von nicht wenigen, wie z.B. großen Teilen der Partei [[Die Linke]], als ein zukunftsfähiges Alternativmodell zur freien Marktwirtschaft und Demokratie betrachtet und beworben. Zu diesen Legenden bzw. Mythen des Sozialismus gehören mehrere Einzellegenden, zum Beispiel:
 
* Die Legende vom angeblich toten und historisch überlebten Sozialismus:
 
* Die Legende vom angeblich humanistischen und demokratischen Grundanliegen des Sozialismus:
* Die Legende vom angeblich humanistischen und demokratischen Grundanliegen des Sozialismus:
* Die Legende vom angeblich leider nur entarteten, im Kern aber guten Sozialismus:
* Die Legende vom angeblich leider nur entarteten, im Kern aber guten Sozialismus:
* Die Legende vom angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus:
* Die Legende vom angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus:
* Die Legende vom angeblichen besonderen Antifaschismus der Sozialisten:
* Die Legende vom angeblichen besonderen Antifaschismus der Sozialisten:
* Die Legende von der angeblich gerechten Wirtschaftsordnung des Sozialismus:
* Die Legende von der angeblich gerechten Wirtschaftsordnung des Sozialismus:
===Die Legende vom angeblich toten und historisch überlebten Sozialismus===
===Die Legende vom angeblich humanistischen und demokratischen Grundanliegen des Sozialismus===


===Die Legende vom angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus===
===Die Legende vom angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus===
Diese Legende behauptet eine im Kern identische Botschaft des Sozialismus und der Lehren Jesu Christi sowie des [[Urchristentum]]s. Die Ziele und Bemühungen von Jesus Christus bzw. des Urchristentums und des Sozialismus seien in wesentlichen Punkten deckungsgleich. Teilweise wird sogar behauptet, Jesus sei der erste Kommunist gewesen. Die Legende löst dabei bestimmte Einzelaspekte und Textstellen aus dem [[Neues Testament|Neuen Testament]] der [[Bibel]] willkürlich aus ihrer Gesamtheit heraus und radikalisiert die Aussagen. Das Christentum wird von seinen wesentlichen Aussagen auf einzelne Abschnitte der Evangelien und der kirchengeschichtlichen Tradition reduziert, politisch-ideologisch missbraucht und damit verfälscht. Diese Tendenzen einer einseitigen Interpretation der Evangelien hat eine über 100 Jahre zurückreichende Tradition und wurde seit den 1970er Jahren speziell in der [[Evangelische Kirche|evangelischen Kirche]] zur kaum noch widersprochenen Doktrin.<ref>Klaus Motschmann: ''Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie'', Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, S.108</ref>


Diese Legende behauptet eine im Kern identische Botschaft des Sozialismus und der Lehren Jesu Christi sowie des Urchristentum. Die Ziele und Bemühungen von Jesus Christus bzw. dem Urchristentum und dem Sozialismus seien in wesentlichen Punkten deckungsgleich. Die Legende löst dabei bestimmte Einzelaspekte der [[Bibel]] wilkürlich aus ihrer Gesamtheit heraus und radikalisiert sie. Das Christentum wird von seinen wesentlichen Aussagen auf einzelne Abschnitte der Evangelien und der
Die Legende widerspricht dagegen einer genaueren Untersuchung des Neuen Testaments. Es ist kaum möglich, besondere Sympathien bzw. eine Bevorzugung Jesu in Bezug auf Randgruppen nachzuweisen. Von einer geradezu heilsnotwendigen Hinwendung zu den Außenseitern der Gesellschaft ist nirgendwo im Neuen Testament explizit die Rede. Es fällt dagegen auf, dass Jesu Jünger eher aus wohlhabenden Kreisen stammten. Petrus, Andreas und Johannes waren Fischer mit eigenen Booten, die auch eine größere Anzahl von Gesellen beschäftigten und komfortable Häuser besaßen.<ref>Luk. 5, 1-11 und Mk. 1, 16-34</ref> Sie waren also eher "Besitzer und Ausbeuter" als "Ausgebeutete". Matthäus und Zachäus waren Zöllner und damit Vertreter der Staatsmacht.<ref>Luk. 5, 29 und Luk. 19, 1-10</ref> Es ist festzustellen, dass Jesus in Bezug auf den sozialen Status grundsätzlich keine besonderen Vorzüge oder Nachteile für die Zugehörigkeit zum Jüngerkreis oder zur Gemeinde machte. Nirgendwo wird von ihm eine Aufgabe individuellen Besitzes oder Reichtums gefordert. Er betont sogar ausdrücklich, dass die Aufgabe des Reichtums allein nichts bewirke.<ref>1. Kor. 13,3 und Matth. 6,2</ref> Die Äußerung Jesu ''"Arme habt ihr allezeit bei euch"''<ref>Joh. 12,8</ref>
kirchengeschichtlichen Tradition reduziert, politisch-ideologisch missbraucht und damit verfälscht. Diese Tendenzen einer einseitigen Interpretation der Evangelien hat eine über 100 Jahre zurückreichende Tradition und wurde in den letzten 20 Jahren speziell in der evangelischen Kirche zur kaum
ist sogar als Einsicht in die Unabänderlichkeit sozialer Ungleichheit und als Absage an sozialrevolutionäre Absichten zu verstehen. Dass Jesu Botschaft nichts mit der Lösung sozialer Probleme, sozialen Umgruppierungsversuchen, oder einer Veränderung von Staats- oder Gesellschaftsordnungen zu tun hat, wird durch seinen fundamentalen Ausspruch ''"Mein Reich ist nicht von dieser Welt"''<ref>Joh 18, 36</ref> unmissverständlich klar. Dies erkannte auch der bedeutende Theologe [[Dietrich Bonhoeffer]], indem er schrieb:
noch widersprochenen Doktrin. <ref>Klaus Motschmann: ''Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie'', Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, S.108</ref>  


Die Legende widerspricht dagegen einer genaueren Untersuchung des Neuen Testaments. Es ist kaum möglich besondere Symphatien bzw. eine Bevorzugung Jesu in Bezug auf Randgruppen nachzuweisen. Von einer geradezu heilsnotwendigen Hinwendung zu den Außenseitern der Gesellschaft ist nirgendwo im Neuen Testament explizit
:''"Jesus beschäftigt sich so gut wie gar nicht mit der Lösung weltlicher Probleme; wo er dazu aufgefordert wird, weicht er merkwürdig aus (Matth. 22, 15 ff.; Luk. 12, 13), wie er überhaupt auf Fragen der Menschen fast nie direkt, sondern von einer ganz anderen Ebene her antwortet. Sein Wort ist nicht Antwort auf menschliche Fragen und Probleme, sondern die göttliche Frage an den Menschen."''<ref>Dietrich Bonhoeffer: ''Ethik'', herausgegeben von E. Betghe, München, 1956, S. 277</ref>   
die Rede. Es fällt dagegen auf, dass Jesu Jünger eher aus wohlhabenden und Kapital besitzenden Kreisen stammten. Petrus, Andreas und Johannes waren Fischer mit eigenen Booten die auch eine größere Anzahl von Gesellen beschäftigten und komfortable Häuser besaßen. <ref>Luk. 5, 1-11 und Mk. 1, 16-34</ref> Sie waren also eher "Besitzer und Ausbeuter" als "Ausgebeutete". Matthäus und Zachäus waren Zöllner und damit Vertreter der Staatsmacht. <ref>Luk. 5, 29 und Luk. 19, 1-10</ref> Es ist festzustellen, dass Jesus in Bezug auf den sozialen Status grundsätzlich keine besonderen Vorzüge oder Nachteile für die Zugehörigkeit zum Jüngerkreis oder zur Gemeinde machte. Nirgendwo wird von ihm eine Aufgabe individuellen Besitzes oder Reichtums gefordert. Er betont sogar ausdrücklich, dass die Aufgabe des Reichtums allein heilstechnisch nichts nütze. <ref>1. Kor. 13,3 und Matth. 6,2</ref> Die Äußerung Jesu ''"Arme habt ihr allezeit bei euch"'' <ref>Joh. 12,8</ref>
ist sogar als Einsicht in die Unabänderlichkeit sozialer Ungleichheit und als Absage an sozialrevolutionäre Absichten zu verstehen. Dass Jesu Botschaft nichts mit der Lösung sozialer Probleme, sozialen Umgruppierungsversuchen, oder einer Veränderung von Staats- oder Gesellschaftsordnungen zu tun hat wird durch seinen fundamentalen Ausspruch ''"Mein Reich ist nicht von dieser Welt"'' unmissverständlich klar. Dies erkannte auch der bedeutende Theologe [[Dietrich Bonhoeffer]] indem er schrieb:
 
:''"Jesus beschäftigt sich so gut wie gar nicht mit der Lösung weltlicher Probleme; wo er dazu aufgefordert wird, weicht er merkwürdig aus (Matth. 22, 15 ff.; Luk. 12, 13), wie er überhaupt auf Fragen der Menschen fast nie direkt, sondern von einer ganz anderen Ebene her antwortet. Sein Wort ist nicht Antwort auf menschliche Fragen und Probleme, sondern die göttliche Frage an den Menschen."'' <ref>Dietrich Bonhoeffer: ''Ethik'', herausgegeben von E. Betghe, München, 1956, S. 277</ref>   


Auch der von Sozialisten immer wieder unternommene Versuch einer Deutung und Vereinnahmung der urchristlichen Gemeinden des ersten Jahrhunderts erweist sich bei näherer Betrachtung als sachlich falsch. Die überlieferten historischen Quellen sind viel zu dünn um genauere Rückschlüsse über die soziale Beschaffenheit und
Auch der von Sozialisten immer wieder unternommene Versuch einer Deutung und Vereinnahmung der urchristlichen Gemeinden des ersten Jahrhunderts erweist sich bei näherer Betrachtung als sachlich falsch. Die überlieferten historischen Quellen sind viel zu dünn um genauere Rückschlüsse über die soziale Beschaffenheit und
die eventuellen "gesellschaftspolitischen Intentionen" ihrer Mitglieder zuzulassen. Die in sozialistischen Kreisen beliebten Theorien über eine klassenlose Gesellschaft des Urchristentums als einer Art von antiker, sozialistischer Ur-Kommune erweisen sich, obwohl zu dem Thema viele meist spekulative Bücher und Aufsätze erschienen sind, im Endeffekt alle als nicht verifizierbare Spekulationen.
die eventuellen "gesellschaftspolitischen Intentionen" ihrer Mitglieder zuzulassen. Die in sozialistischen Kreisen beliebten Theorien über eine klassenlose Gesellschaft des Urchristentums als einer Art von antiker, sozialistischer Ur-Kommune erweisen sich, obwohl zu dem Thema viele meist spekulative Bücher und Aufsätze erschienen sind, im Endeffekt alle als nicht verifizierbare Spekulationen.


Trotz der auch für den theologischen bzw. politologischen Laien verständlichen, fundamentalen Unterschiede zwischen Christentum und Sozialismus haben bedeutende und weniger bedeutende Sozialisten und auch viele links orientierte Theologen seit den Zeiten von Marx und Engels immer wieder versucht, die Legende von einer engen Verwandschaft zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Weltanschauungen zu recyceln und dadurch am positiven Image der christlichen Botschaft zu partizipieren. Den Anfang machte dabei Friedrich Engels mit seiner Schrift ''Zur Geschichte des Urchristentums'' aus dem Jahr 1994, in der er u.a. konstatierte:
Trotz der auch für den theologischen bzw. politologischen Laien verständlichen, fundamentalen Unterschiede zwischen Christentum und Sozialismus haben bedeutende und weniger bedeutende Sozialisten und auch viele links orientierte Theologen seit den Zeiten von Marx und Engels immer wieder versucht, die Legende von einer engen Verwandschaft zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Weltanschauungen zu recyceln und dadurch am positiven Image der christlichen Botschaft zu partizipieren. Den Anfang machte dabei Friedrich Engels mit seiner Schrift ''Zur Geschichte des Urchristentums'' aus dem Jahr 1894, in der er u.a. konstatierte:


:''"Die Geschichte des Urchristentums bietet merkwürdige Berührungspunkte mit der modernen Arbeiterbewegung. Wie diese, war das Christentum im Ursprung eine Bewegung Unterdrückter: es trat zuerst auf als Religion der Sklaven und Freigelassenen, der Armen und Rechtlosen, der von Rom unterjochten oder zersprengten Völker. Beide, Christentum wie Arbeitersozialismus, predigen eine bevorstehende Erlösung aus Knechtschaft und Elend; daß Christentum setzt diese Erlösung in ein jenseitiges Leben nach dem Tod, in den Himmel; der Sozialismus in diese Welt, in eine Umgestaltung der Gesellschaft."'' <ref>Friedrich Engels: ''Zur Geschichte des Urchristentums'', 1894; in MEW Band 22, S. 449</ref>
:''"Die Geschichte des Urchristentums bietet merkwürdige Berührungspunkte mit der modernen Arbeiterbewegung. Wie diese, war das Christentum im Ursprung eine Bewegung Unterdrückter: es trat zuerst auf als Religion der Sklaven und Freigelassenen, der Armen und Rechtlosen, der von Rom unterjochten oder zersprengten Völker. Beide, Christentum wie Arbeitersozialismus, predigen eine bevorstehende Erlösung aus Knechtschaft und Elend; daß Christentum setzt diese Erlösung in ein jenseitiges Leben nach dem Tod, in den Himmel; der Sozialismus in diese Welt, in eine Umgestaltung der Gesellschaft."'' <ref>Friedrich Engels: ''Zur Geschichte des Urchristentums'', 1894; in MEW Band 22, S. 449</ref>


Allerdings ist Engels und anderen Sozialisten des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer umfassenden Bildung im Gegensatz zu vielen heutigen Sozialisten und Theologen der qualitative Unterschied zwischen christlicher Erlösung und politischer Befreiung (siehe das Ende des obigen Zitats) durchaus noch bewusst. Etliche, meist protestantische Theologen griffen dies sozialistische Angebot einer Liaison zwischen Christentum und Sozialismus in den nächsten Jahrzehnten begierig auf. Exemplarisch sei hier nur der bedeutende protestantische Theologe [[Karl Barth]] genannt, der mehrmals öffentlich die Forderung vertrat, dass ein wirklicher Christ Sozialist werden müsse, wenn er mit dem Wesen des Christentums ernstmachen wolle. <ref>Norbert Greinacher: Sozialismus und Christentum am Ende des zweiten und zu Beginn des dritten Jahrtausends; auf [http://www.brsd.de/zeitschrift-cus/artikel/44-sozialismus-und-christentum-am-ende-des-zweiten-und-zu-beginn-des-dritten-jahrtausends BRSD - Bund der Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands e.V.]</ref> Er begründete die Forderung nach einer möglichst radikalen Umgestaltung links selbst der Vorstellungen der Sozialdemokratie theologisch u.a. mit folgenden Worten:
Allerdings ist Engels und anderen Sozialisten des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer umfassenden Bildung im Gegensatz zu vielen heutigen Sozialisten und Theologen der qualitative Unterschied zwischen christlicher Erlösung und politischer Befreiung (siehe das Ende des obigen Zitats) durchaus noch bewusst. Etliche, meist protestantische Theologen griffen dies sozialistische Angebot einer Liaison zwischen Christentum und Sozialismus in den nächsten Jahrzehnten begierig und unkritisch auf. Exemplarisch sei hier nur der bedeutende protestantische Theologe [[Karl Barth]] genannt, der mehrmals öffentlich die Forderung vertrat, dass ein wirklicher Christ Sozialist werden müsse, wenn er mit dem Wesen des Christentums ernstmachen wolle. <ref>Norbert Greinacher: Sozialismus und Christentum am Ende des zweiten und zu Beginn des dritten Jahrtausends; auf [http://www.brsd.de/zeitschrift-cus/artikel/44-sozialismus-und-christentum-am-ende-des-zweiten-und-zu-beginn-des-dritten-jahrtausends BRSD - Bund der Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands e.V.]</ref> Er begründete die Forderung nach einer möglichst radikalen Umgestaltung links selbst der Vorstellungen der Sozialdemokratie theologisch u.a. mit folgenden Worten:


:''"Entweder das ist Gott, was das Neue Testament so nennt. Dann bedeutet aber ‘Gott’ die Umkehrung nicht nur weniger, sondern aller Dinge, die Erneuerung der ganzen Welt, eine Veränderung des Baus, bei dem kein Stein auf dem anderen bleiben kann. Dann bedeutet Glauben das Einstehen für diese Umkehrung, die Vorbereitung darauf, das Rechnen damit als mit der sichersten Tatsache. Dann haben aber die Sozialdemokraten recht und nicht die Sozialreformer, ja dann sind die radikalsten Sozialdemokraten noch nicht radikal genug, dann ist das Bekenntnis zur Sozialdemokratie nur eine kleine, selbstverständliche, sehr ungenügende, ärmliche und vorläufige Abschlagszahlung auf das, was ein ‘Christ’ heute seinem Glauben schuldig ist"''
:''"Entweder das ist Gott, was das Neue Testament so nennt. Dann bedeutet aber ‘Gott’ die Umkehrung nicht nur weniger, sondern aller Dinge, die Erneuerung der ganzen Welt, eine Veränderung des Baus, bei dem kein Stein auf dem anderen bleiben kann. Dann bedeutet Glauben das Einstehen für diese Umkehrung, die Vorbereitung darauf, das Rechnen damit als mit der sichersten Tatsache. Dann haben aber die Sozialdemokraten recht und nicht die Sozialreformer, ja dann sind die radikalsten Sozialdemokraten noch nicht radikal genug, dann ist das Bekenntnis zur Sozialdemokratie nur eine kleine, selbstverständliche, sehr ungenügende, ärmliche und vorläufige Abschlagszahlung auf das, was ein ‘Christ’ heute seinem Glauben schuldig ist"''


Bereits Ende der 1950er-Jahre wurde deutlich, dass der [[EKD]] eine fundamentale Kritik bzw. klare Aussage zu den Missständen und Verbrechen des real existierenden Sozialismus schwer fällt. Ein Pendant zur [[Barmer Erklärung]], die den Nationalsozialismus und das Verhalten der Kirche zwischen 1933 bis 1945 eindeutig als Verbrechen bzw. Schuld benannte, fehlt in der evangelischen Kirche bis heute. Im Zuge der 1968er-Bewegung wird der Schulterschluss zwischen Sozialisten und Christen dann immer enger. Man veranstaltet gemeinsame Workshops und Aktionen wie z.B. Mahnwachen vor Bundeswehrkasernen, Gottesdienste für [[Rosa Luxemburg]] oder Blutspendeaktionen für marxistische Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. <ref>Klaus Motschmann: ''Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie,'' Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, S. 53-55</ref> Antisozialistische Einstellungen werden innerhalb der evangelischen Kirche zunehmend als Abfall vom christlichen Glauben verstanden. In der Schrift ''Der Weg nach Damaskus'' wird den vermeintlich "rechten Christen" noch im Jahr 1989 vorgeworfen, dass sie nicht nur ''"fanatisch antikommunistisch"'' seien, sondern außerdem noch ''"Götzenanbetung, Irrlehre, Abfall von Gott, Heuchelei und Gotteslästerung"'' betreiben würden. <ref>EMW-Informationen Nr. 84, Evangelisches Missionswerk im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e.V., Hamburg</ref> Als Fazit einer Analyse von 700 Predigten von 250 Vikaren beschreibt Helmut Barie im Jahr 1987 das heutige evangelische Bild eines sozial bewussten und sozialistischen Jesus folgendermaßen:
Spätestens gegen Ende der 1950er-Jahre wurde dann deutlich, dass der [[EKD]] eine fundamentale Kritik bzw. klare Aussage zu den Missständen und Verbrechen des real existierenden Sozialismus schwer fällt. Ein Pendant zur [[Barmer Erklärung]], die den Nationalsozialismus und das Verhalten der Kirche zwischen 1933 bis 1945 eindeutig als Verbrechen bzw. Schuld benannte, fehlt in der evangelischen Kirche bis heute. Im Zuge der 1968er-Bewegung wird der Schulterschluss zwischen Sozialisten und Christen dann immer enger. Man veranstaltet gemeinsame Workshops und Aktionen wie z.B. Mahnwachen vor Bundeswehrkasernen, Gottesdienste für [[Rosa Luxemburg]] oder Blutspendeaktionen für marxistische Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. <ref>Klaus Motschmann: ''Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie,'' Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, S. 53-55</ref> Antisozialistische Einstellungen werden innerhalb der evangelischen Kirche zunehmend als Abfall vom christlichen Glauben verstanden. In der Schrift ''Der Weg nach Damaskus'' wird den vermeintlich "rechten Christen" noch ein Jahr vor dem Zusammenbruch jeglicher sozialistischer Träume im Jahr 1989 vorgeworfen, dass sie nicht nur ''"fanatisch antikommunistisch"'' seien, sondern außerdem noch ''"Götzenanbetung, Irrlehre, Abfall von Gott, Heuchelei und Gotteslästerung"'' betreiben würden. <ref>EMW-Informationen Nr. 84, Evangelisches Missionswerk im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e.V., Hamburg</ref> Als Fazit einer Analyse von 700 Predigten von 250 Vikaren beschreibt Helmut Barie im Jahr 1987 das heutige evangelische Bild eines sozial bewussten und sozialistischen Jesus folgendermaßen:
 
:''"Quer durch die theologischen Lager und unabhängig vom Frömmigkeitsstil des Predigers ist ein `Randgruppen-Jesus`gefragt. Modisch und schick ist ein Jesus, von dem in Predigten gesagt wird, daß er `Anstoß errege`, die `Welt der Frommen erschüttere`, sich über vieles hinwegsetze was zu seiner Zeit der guten Sitte entsprach und sich Freunde unter den Außenseitern schaffte ..."'' <ref>Helmut Barie: Welcher Jesus wird gepredigt?, in: Evangelische Kommentare, Monatsschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft, Heft 9, 1987, S. 523</ref>
 
Die offen sozialistisch ausgerichtete und auch vom Vatikan abgelehnte [[Befreiungstheologie]] in Lateinamerika ist ein weiteres immer noch aktuelles Beispiel für die praktische Anwendung der Legende des angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus. <ref>Anm.: Hier ist allerdings zu bemerken, dass sich die Kritiker von klaren Menschenrechtsverletzungen in oft halbfaschistischen lateinamerikanischen Staaten mit ihrem oft auch sozialistischen Widerstand weit eher im Einklang mit der christlichen Botschaft befinden dürften als die Kirchenvertreter und Kirchenmitglieder der westeuropäischen Welt.</ref>


:''"Quer durch die theologischen Lager und unabhängig vom Frömmigkeitssteil des Predigers ist ein `Randgruppen-Jesus`gefragt. Modisch und schick ist ein Jesus, von dem in Predigten gesagt wird, daß er `Anstoß errege`, die `Welt der Frommen erschüttere`, sich über vieles hinwegsetze was zu seiner Zeit der guten Sitte entsprach und sich Freunde unter den Außenseitern schaffte ..."'' <ref>Helmut Barie: Welcher Jesus wird gepredigt?, in: Evangelische Kommentare, Monatsschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft, Heft 9, 1987, S. 523</ref>
== Siehe auch ==
*''[[Rotbuch Kirche]]''  


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>
{{PPA-Zirkon}}
[[Kategorie:Sozialismus]]

Aktuelle Version vom 21. März 2025, 11:10 Uhr

Als Legenden des Sozialismus bezeichnen Forscher und Autoren wie z.B. der Politikwissenschaftler Klaus Motschmann,[1] der Publizist Karl Wilhelm Fricke,[2] sowie Hans Lechner und Uwe Thaysen[3][4] bestimmte ihrer Meinung nach anscheinend unausrottbare Behauptungen bzw. Illusionen über den Charakter des Sozialismus bzw. Kommunismus, die trotz eindeutigen Forschungsergebnissen der Wissenschaft und unzweideutiger, wiederholter katastrophaler historischer Erfahrungen immer noch in weiten Teilen der Bevölkerung für wahr gehalten werden. Aufgrund dieser Legenden wird der Sozialismus auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks trotz seiner Verbrechen und Völkermorde und seiner in praxi nachgewiesenen und unbestreitbaren ökonomischen Impotenz [5] immer noch bzw. schon wieder von nicht wenigen, wie z.B. großen Teilen der Partei Die Linke, als ein zukunftsfähiges Alternativmodell zur freien Marktwirtschaft und Demokratie betrachtet und beworben. Zu diesen Legenden bzw. Mythen des Sozialismus gehören mehrere Einzellegenden, zum Beispiel:

  • Die Legende vom angeblich humanistischen und demokratischen Grundanliegen des Sozialismus:
  • Die Legende vom angeblich leider nur entarteten, im Kern aber guten Sozialismus:
  • Die Legende vom angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus:
  • Die Legende vom angeblichen besonderen Antifaschismus der Sozialisten:
  • Die Legende von der angeblich gerechten Wirtschaftsordnung des Sozialismus:

Die Legende vom angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus

Diese Legende behauptet eine im Kern identische Botschaft des Sozialismus und der Lehren Jesu Christi sowie des Urchristentums. Die Ziele und Bemühungen von Jesus Christus bzw. des Urchristentums und des Sozialismus seien in wesentlichen Punkten deckungsgleich. Teilweise wird sogar behauptet, Jesus sei der erste Kommunist gewesen. Die Legende löst dabei bestimmte Einzelaspekte und Textstellen aus dem Neuen Testament der Bibel willkürlich aus ihrer Gesamtheit heraus und radikalisiert die Aussagen. Das Christentum wird von seinen wesentlichen Aussagen auf einzelne Abschnitte der Evangelien und der kirchengeschichtlichen Tradition reduziert, politisch-ideologisch missbraucht und damit verfälscht. Diese Tendenzen einer einseitigen Interpretation der Evangelien hat eine über 100 Jahre zurückreichende Tradition und wurde seit den 1970er Jahren speziell in der evangelischen Kirche zur kaum noch widersprochenen Doktrin.[6]

Die Legende widerspricht dagegen einer genaueren Untersuchung des Neuen Testaments. Es ist kaum möglich, besondere Sympathien bzw. eine Bevorzugung Jesu in Bezug auf Randgruppen nachzuweisen. Von einer geradezu heilsnotwendigen Hinwendung zu den Außenseitern der Gesellschaft ist nirgendwo im Neuen Testament explizit die Rede. Es fällt dagegen auf, dass Jesu Jünger eher aus wohlhabenden Kreisen stammten. Petrus, Andreas und Johannes waren Fischer mit eigenen Booten, die auch eine größere Anzahl von Gesellen beschäftigten und komfortable Häuser besaßen.[7] Sie waren also eher "Besitzer und Ausbeuter" als "Ausgebeutete". Matthäus und Zachäus waren Zöllner und damit Vertreter der Staatsmacht.[8] Es ist festzustellen, dass Jesus in Bezug auf den sozialen Status grundsätzlich keine besonderen Vorzüge oder Nachteile für die Zugehörigkeit zum Jüngerkreis oder zur Gemeinde machte. Nirgendwo wird von ihm eine Aufgabe individuellen Besitzes oder Reichtums gefordert. Er betont sogar ausdrücklich, dass die Aufgabe des Reichtums allein nichts bewirke.[9] Die Äußerung Jesu "Arme habt ihr allezeit bei euch"[10] ist sogar als Einsicht in die Unabänderlichkeit sozialer Ungleichheit und als Absage an sozialrevolutionäre Absichten zu verstehen. Dass Jesu Botschaft nichts mit der Lösung sozialer Probleme, sozialen Umgruppierungsversuchen, oder einer Veränderung von Staats- oder Gesellschaftsordnungen zu tun hat, wird durch seinen fundamentalen Ausspruch "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"[11] unmissverständlich klar. Dies erkannte auch der bedeutende Theologe Dietrich Bonhoeffer, indem er schrieb:

"Jesus beschäftigt sich so gut wie gar nicht mit der Lösung weltlicher Probleme; wo er dazu aufgefordert wird, weicht er merkwürdig aus (Matth. 22, 15 ff.; Luk. 12, 13), wie er überhaupt auf Fragen der Menschen fast nie direkt, sondern von einer ganz anderen Ebene her antwortet. Sein Wort ist nicht Antwort auf menschliche Fragen und Probleme, sondern die göttliche Frage an den Menschen."[12]

Auch der von Sozialisten immer wieder unternommene Versuch einer Deutung und Vereinnahmung der urchristlichen Gemeinden des ersten Jahrhunderts erweist sich bei näherer Betrachtung als sachlich falsch. Die überlieferten historischen Quellen sind viel zu dünn um genauere Rückschlüsse über die soziale Beschaffenheit und die eventuellen "gesellschaftspolitischen Intentionen" ihrer Mitglieder zuzulassen. Die in sozialistischen Kreisen beliebten Theorien über eine klassenlose Gesellschaft des Urchristentums als einer Art von antiker, sozialistischer Ur-Kommune erweisen sich, obwohl zu dem Thema viele meist spekulative Bücher und Aufsätze erschienen sind, im Endeffekt alle als nicht verifizierbare Spekulationen.

Trotz der auch für den theologischen bzw. politologischen Laien verständlichen, fundamentalen Unterschiede zwischen Christentum und Sozialismus haben bedeutende und weniger bedeutende Sozialisten und auch viele links orientierte Theologen seit den Zeiten von Marx und Engels immer wieder versucht, die Legende von einer engen Verwandschaft zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Weltanschauungen zu recyceln und dadurch am positiven Image der christlichen Botschaft zu partizipieren. Den Anfang machte dabei Friedrich Engels mit seiner Schrift Zur Geschichte des Urchristentums aus dem Jahr 1894, in der er u.a. konstatierte:

"Die Geschichte des Urchristentums bietet merkwürdige Berührungspunkte mit der modernen Arbeiterbewegung. Wie diese, war das Christentum im Ursprung eine Bewegung Unterdrückter: es trat zuerst auf als Religion der Sklaven und Freigelassenen, der Armen und Rechtlosen, der von Rom unterjochten oder zersprengten Völker. Beide, Christentum wie Arbeitersozialismus, predigen eine bevorstehende Erlösung aus Knechtschaft und Elend; daß Christentum setzt diese Erlösung in ein jenseitiges Leben nach dem Tod, in den Himmel; der Sozialismus in diese Welt, in eine Umgestaltung der Gesellschaft." [13]

Allerdings ist Engels und anderen Sozialisten des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer umfassenden Bildung im Gegensatz zu vielen heutigen Sozialisten und Theologen der qualitative Unterschied zwischen christlicher Erlösung und politischer Befreiung (siehe das Ende des obigen Zitats) durchaus noch bewusst. Etliche, meist protestantische Theologen griffen dies sozialistische Angebot einer Liaison zwischen Christentum und Sozialismus in den nächsten Jahrzehnten begierig und unkritisch auf. Exemplarisch sei hier nur der bedeutende protestantische Theologe Karl Barth genannt, der mehrmals öffentlich die Forderung vertrat, dass ein wirklicher Christ Sozialist werden müsse, wenn er mit dem Wesen des Christentums ernstmachen wolle. [14] Er begründete die Forderung nach einer möglichst radikalen Umgestaltung links selbst der Vorstellungen der Sozialdemokratie theologisch u.a. mit folgenden Worten:

"Entweder das ist Gott, was das Neue Testament so nennt. Dann bedeutet aber ‘Gott’ die Umkehrung nicht nur weniger, sondern aller Dinge, die Erneuerung der ganzen Welt, eine Veränderung des Baus, bei dem kein Stein auf dem anderen bleiben kann. Dann bedeutet Glauben das Einstehen für diese Umkehrung, die Vorbereitung darauf, das Rechnen damit als mit der sichersten Tatsache. Dann haben aber die Sozialdemokraten recht und nicht die Sozialreformer, ja dann sind die radikalsten Sozialdemokraten noch nicht radikal genug, dann ist das Bekenntnis zur Sozialdemokratie nur eine kleine, selbstverständliche, sehr ungenügende, ärmliche und vorläufige Abschlagszahlung auf das, was ein ‘Christ’ heute seinem Glauben schuldig ist"

Spätestens gegen Ende der 1950er-Jahre wurde dann deutlich, dass der EKD eine fundamentale Kritik bzw. klare Aussage zu den Missständen und Verbrechen des real existierenden Sozialismus schwer fällt. Ein Pendant zur Barmer Erklärung, die den Nationalsozialismus und das Verhalten der Kirche zwischen 1933 bis 1945 eindeutig als Verbrechen bzw. Schuld benannte, fehlt in der evangelischen Kirche bis heute. Im Zuge der 1968er-Bewegung wird der Schulterschluss zwischen Sozialisten und Christen dann immer enger. Man veranstaltet gemeinsame Workshops und Aktionen wie z.B. Mahnwachen vor Bundeswehrkasernen, Gottesdienste für Rosa Luxemburg oder Blutspendeaktionen für marxistische Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. [15] Antisozialistische Einstellungen werden innerhalb der evangelischen Kirche zunehmend als Abfall vom christlichen Glauben verstanden. In der Schrift Der Weg nach Damaskus wird den vermeintlich "rechten Christen" noch ein Jahr vor dem Zusammenbruch jeglicher sozialistischer Träume im Jahr 1989 vorgeworfen, dass sie nicht nur "fanatisch antikommunistisch" seien, sondern außerdem noch "Götzenanbetung, Irrlehre, Abfall von Gott, Heuchelei und Gotteslästerung" betreiben würden. [16] Als Fazit einer Analyse von 700 Predigten von 250 Vikaren beschreibt Helmut Barie im Jahr 1987 das heutige evangelische Bild eines sozial bewussten und sozialistischen Jesus folgendermaßen:

"Quer durch die theologischen Lager und unabhängig vom Frömmigkeitsstil des Predigers ist ein `Randgruppen-Jesus`gefragt. Modisch und schick ist ein Jesus, von dem in Predigten gesagt wird, daß er `Anstoß errege`, die `Welt der Frommen erschüttere`, sich über vieles hinwegsetze was zu seiner Zeit der guten Sitte entsprach und sich Freunde unter den Außenseitern schaffte ..." [17]

Die offen sozialistisch ausgerichtete und auch vom Vatikan abgelehnte Befreiungstheologie in Lateinamerika ist ein weiteres immer noch aktuelles Beispiel für die praktische Anwendung der Legende des angeblich im Urchristentum vorhandenen Sozialismus. [18]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Klaus Motschmann: Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie, Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, ISBN 3-89182-043-7
  2. Anm.: Fricke ist ein deutscher Publizist und Herausgeber mehrerer Standardwerke über den Widerstand in der DDR.
  3. Karl Wilhelm Fricke, Hans Lechner und Uwe Thaysen: Errungenschaften und Legenden - Runder Tisch, Willkürherrschaft und Kommandowirtschaft im DDR-Sozialismus, Verlag Knoth, 1990
  4. Anm.: Thaysen ist Politikwissenschaftler; siehe: Uwe Thaysen: Sein Wirken an der Universität Lüneburg
  5. Zur der in allen Bereichen der freien Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland unterlegenen Wirtschaftskraft der DDR, ihrer Ineffizienz und Unfähigkeit zur Modernisierung siehe neben vielen anderen Büchern und Aufsätzen z.B. auch Oskar Schwarzer: Sozialistische Zentralplanwirtschaft in der SBZ/DDR - Ergebnisse eines ordnungspolitischen Experiments (1945-1989), VSWG Beihefte 143, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 1999; hier speziell die Kapitel "Indikatoren der Wetbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten - ein Vergleich" und "Bevölkerung, Arbeitskräftepotential und Investitionen in das Humankapital", S. 71 bis 108
  6. Klaus Motschmann: Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie, Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, S.108
  7. Luk. 5, 1-11 und Mk. 1, 16-34
  8. Luk. 5, 29 und Luk. 19, 1-10
  9. 1. Kor. 13,3 und Matth. 6,2
  10. Joh. 12,8
  11. Joh 18, 36
  12. Dietrich Bonhoeffer: Ethik, herausgegeben von E. Betghe, München, 1956, S. 277
  13. Friedrich Engels: Zur Geschichte des Urchristentums, 1894; in MEW Band 22, S. 449
  14. Norbert Greinacher: Sozialismus und Christentum am Ende des zweiten und zu Beginn des dritten Jahrtausends; auf BRSD - Bund der Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands e.V.
  15. Klaus Motschmann: Mythos Sozialismus - Von den Schwierigkeiten der Entmythologisierung einer Ideologie, Blaue aktuelle Reihe, Band 18, MUT-Verlag, Asendorf, 1990, S. 53-55
  16. EMW-Informationen Nr. 84, Evangelisches Missionswerk im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e.V., Hamburg
  17. Helmut Barie: Welcher Jesus wird gepredigt?, in: Evangelische Kommentare, Monatsschrift zum Zeitgeschehen in Kirche und Gesellschaft, Heft 9, 1987, S. 523
  18. Anm.: Hier ist allerdings zu bemerken, dass sich die Kritiker von klaren Menschenrechtsverletzungen in oft halbfaschistischen lateinamerikanischen Staaten mit ihrem oft auch sozialistischen Widerstand weit eher im Einklang mit der christlichen Botschaft befinden dürften als die Kirchenvertreter und Kirchenmitglieder der westeuropäischen Welt.

Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Legenden des Sozialismus) vermutlich nicht.

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